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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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Platz.
Mein Regenschirm hing, wo er noch nie gehangen hatte. Das Sofa war verschoben
worden, so daß ein alter Fleck auf dem Teppich zu sehen war. Und über allem ein
seltsamer Geruch: nicht nur Zigarettenrauch und Schweiß, sondern etwas
Scharfes, Durchdringendes, das ich nicht unterbringen konnte. Sie haben auf
allem ihr Zeichen hinterlassen, dachte ich: gründliche Arbeiter. Dann erinnerte
ich mich an den Ordner auf meinem Schreibtisch, den Brief, an all die Seiten
bisher. Auch das! dachte ich: Sie werden auch das durchgesehn haben!
Beschmutzte Finger, die Seiten umwenden, lieblose Augen, die über nackte Worte
gehen. »Helfen Sie mir nach oben«, sagte ich zu Vercueil.
    Der Ordner, offen gelassen,
als ich zuletzt schrieb, war geschlossen. Das Schloß des Schrankes mit den
Ordnern war aufgebrochen. In den Bücherregalen waren Lücken.
    Die zwei
unbenutzten Zimmer waren gewaltsam aufgebrochen worden.
    Sie hatten
den Schrank durchsucht, die Kommode. Nichts war unberührt geblieben. Wie der
letzte Besuch, den die Einbrecher mir abstatteten. Die Durchsuchung lediglich
ein Vorwand. Der wahre Zweck das Berühren, das Befingern. Der Geist
niederträchtig. Wie Vergewaltigung: eine Art, eine Frau zu beschmutzen.
    Ich wandte
mich Vercueil zu, wortlos, mir war speiübel.
    »Unten ist
irgendwer«, sagte er.
    Vom Flur
aus konnten wir jemanden telefonieren hören.
    Die Stimme verstummte. Ein
junger Mann in Uniform tauchte in der Diele auf und nickte uns zu.
    »Was tun Sie in meinem
Haus?« rief ich hinab.
    »Nur zur
Kontrolle«, erwiderte er aufgeräumt. »Wir wollten nicht, daß hier Fremde
reinkommen.« Er nahm ein Barett auf, eine Jacke, ein Gewehr. War es das Gewehr,
das ich gerochen hatte? »Die Kripo wird um acht hier sein«, sagte er. »Ich
werde draußen warten.« Er lächelte; er schien zu denken, daß er mir einen
Dienst erwiesen hatte. Er schien Dank zu erwarten.
    »Ich muß
ein Bad nehmen«, sagte ich zu Vercueil.
    Aber ich nahm kein Bad. Ich
schloß die Schlafzimmertür, nahm zwei von den roten Pillen und legte mich, am
ganzen Körper zitternd, hin. Das Zittern wurde schlimmer, bis ich flatterte wie
ein Blatt im Sturm. Mir war kalt, aber das Zittern kam nicht von der Kälte.
    Immer nur
eine Minute, sagte ich mir: fall jetzt nicht in Stücke, denk nur an die nächste
Minute.
    Langsam
ließ das Zittern nach.
    Der Mensch,
dachte ich: das einzige Geschöpf mit einem Teil seiner Existenz im Unbekannten,
in der Zukunft, wie ein vor ihn geworfener Schatten. Dauernd versuchend, diesen
sich bewegenden Schatten einzuholen, das Bild seiner Hoffnung zu bewohnen. Aber
ich, ich kann es mir nicht leisten, Mensch zu sein. Muß etwas Kleineres,
Blinderes sein, dichter am Boden.
    Es klopfte, und Vercueil
kam herein, gefolgt von dem Polizisten, der gestern den Rentierpullover
getragen hatte und jetzt ein Jackett und Krawatte trug. Das Zittern fing wieder
an. Er bedeutete Vercueil, das Zimmer zu verlassen. Ich setzte mich auf. »Gehn Sie
nicht, Mr. Vercueil«, sagte ich; und zu ihm: »Welches Recht haben Sie, in mein
Haus zu kommen?«
    »Wir haben
uns Sorgen gemacht um Sie.« Er schien überhaupt nicht besorgt zu sein. »Wo
waren Sie letzte Nacht?« Und dann, als ich nicht antwortete: »Sind Sie sicher,
daß Sie ganz bei sich sind, Mrs. Curren?«
    Obwohl ich
die Fäuste ballte, wurde das Zittern so schlimm, daß es mich schüttelte. »Nein,
ich bin nicht bei mir!« schrie ich ihn an. »Sie sind derjenige, der bei sich
ist!«
    Er war
nicht verblüfft. Im Gegenteil, er schien mich zu ermutigen, so weiterzumachen.
    Reiß dich
zusammen! dachte ich. Die liefern dich ein, die erklären dich für verrückt und
bringen dich weg!
    »Was wollen
Sie hier?« fragte ich ruhiger.
    »Ich möchte bloß ein paar
Fragen stellen. Wie sind Sie zu diesem Jungen namens Johannes gekommen?«
    Johannes:
war das sein wahrer Name? Sicher nicht.
    »Er war ein
Freund des Sohnes meiner Hausangestellten. Ein Schulfreund.«
    Aus seiner
Tasche holte er einen kleinen Kassettenrecorder und legte ihn auf das Bett
neben mich.
    »Und wo ist
der Sohn Ihrer Hausangestellten?«
    »Er ist tot und begraben.
Sie wissen diese Dinge doch sicher.«
    »Was ist ihm zugestoßen?«
    »Er wurde
erschossen, draußen auf den Flats.«
    »Und wissen Sie, ob es noch
mehr von ihnen gibt?«
    »Mehr von
was?«
    »Mehr Freunde.«
    »Tausende.
Millionen. Mehr, als Sie zählen können.«
    »Ich meine,
mehr von dieser Zelle. Gibt es noch andere, die Ihr Anwesen benutzt haben?«
    »Nein.«
    »Und

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