Coetzee, J. M.
das akzeptiert. Ich habe nicht
versucht, mich abseits zu stellen. Obwohl ich nicht darum gebeten hatte, daß
das Verbrechen begangen werde, wurde es in meinem Namen begangen. Zeitweilig
wütete ich gegen die Männer, die die Schmutzarbeit machten – Sie haben es
gesehn, ein schändliches Wüten, ebenso dumm wie das, wogegen es wütete
–, aber ich akzeptierte auch, daß sie, in gewissem Sinne, in mir lebten. Wenn
ich ihnen also in meinem Wüten den Tod wünschte, so wünschte ich auch mir
selber den Tod. Im Namen der Ehre. Einer ehrenhaften Auffassung von Ehre. Honesta
mors.
Ich habe
keine Ahnung, was Freiheit ist, Mr. Vercueil. Ich bin sicher, Bheki und sein
Freund hatten auch keine Ahnung. Vielleicht ist Freiheit immer und nur das, was
unvorstellbar ist. Trotzdem erkennen wir Unfreiheit, wenn wir sie sehn – oder
nicht? Bheki war nicht frei und wußte es. Sie sind nicht frei, wenigstens nicht
auf dieser Erde, und ich bin es auch nicht. Ich bin als Sklavin geboren und
werde wohl auch als Sklavin sterben. Ein Leben in Fesseln, ein Tod in Fesseln:
da hilft kein Deuteln, hilft kein Jammern.
Was ich
nicht wußte, was ich nicht wußte – und jetzt passen Sie auf! – war, daß
der Preis noch höher war. Ich hatte mich verrechnet. Wo ist der Fehler
hereingekommen? Es hatte etwas mit Ehre zu tun, mit der Auffassung, an der ich
durch dick und dünn festhielt, durch meine Bildung, meine Lektüre, daß der
Ehrenhafte keinen Schaden an seiner Seele nehmen kann. Ich strebte stets nach
Ehre, nach einer privaten Ehre, wobei Scham mir als Führerin diente. Solange
ich mich schämte, wußte ich, daß ich nicht in die Unehre abgeglitten war. Dazu
diente Scham: als ein Prüfstein, etwas, das immer da sein würde, etwas, zu dem
man zurückkommen konnte wie ein Blinder, um es zu berühren, um einem zu sagen,
wo man war. Im übrigen wahrte ich einen gehörigen Abstand von meiner Scham. Ich
suhlte mich nicht in ihr. Scham wurde nie eine schamlose Lust; sie hörte nie auf,
etwas Quälendes zu sein. Ich war nicht stolz auf sie, ich schämte mich ihrer.
Meine Scham, meine Schande, meine eigene. Asche in meinem Mund, Tag für Tag,
die nie aufhörte, wie Asche zu schmecken.
Es ist ein Bekenntnis, das
ich hier ablege, heute morgen, Mr. Vercueil«, sagte ich, »ein Bekenntnis, wie
ich es vollständiger nicht ablegen könnte. Ich behalte keine Geheimnisse
zurück. Ich bin ein guter Mensch gewesen, dazu bekenne ich mich offen. Ich bin
noch immer ein guter Mensch. Was für Zeiten sind dies, wenn es nicht genügt,
ein guter Mensch zu sein!
Womit ich nicht gerechnet
hatte, war, daß mehr gefordert sein könnte, als gut zu sein. Gute Menschen gibt
es zuhauf in diesem Land. Auf einen Penny kommen zwei von uns Guten und
Fastguten. Was gefordert ist in diesen Zeiten, ist etwas ganz anderes als Güte.
Die Zeiten erfordern Heldentum. Ein Wort, das mir nur schwer über die Lippen
geht. Ich glaube, ich habe es noch nie benutzt, nicht einmal in einer
Vorlesung. Warum nicht? Vielleicht aus Achtung. Vielleicht aus Scham. So wie
man die Augen niederschlägt vor einem nackten Mann. Statt dessen würde ich in
einer Vorlesung wahrscheinlich die Worte heldenhafter Zustand benutzt
haben. Der Held in seinem heldenhaften Zustand. Der Held, diese antike nackte
Gestalt.«
Ein tiefes
Ächzen kam aus Vercueils Kehle. Ich reckte mich hinüber, aber alles, was ich
sehen konnte, waren die Stoppeln auf seiner Wange und ein haariges Ohr. »Mr.
Vercueil!« flüsterte ich. Er rührte sich nicht. Eingeschlafen? Oder tat er nur
so? Wieviel war ungehört an ihm vorbeigegangen? Hatte er das über Güte und
Heldentum gehört? Über Ehre und Scham? Ist ein wahres Bekenntnis noch wahr,
wenn es nicht gehört wird? Hörst Du mich, oder habe ich auch Dich in den Schlaf
geredet?
Ich ging
hinter einen Busch. Ringsum sangen die Vögel. Wer hätte gedacht, daß am
Stadtrand solches Vogelleben ist! Es war wie Arkadien. Kein Wunder, daß
Vercueil und seine Freunde draußen lebten. Wozu ist ein Dach gut, außer um den
Regen abzuhalten? Vercueil und seine Kameraden.
Ich legte
mich wieder neben ihn, die Füße kalt und schmutzig von feuchter Erde. Es war
jetzt ganz hell. Auf unserem aufgeklappten Karton müssen wir auf der unbebauten
Parzelle für jeden Passanten sichtbar gewesen sein. So müssen wir in den Augen
der Engel aussehen: Menschen, die in Häusern aus Glas wohnen, jede unserer
Handlungen nackt. Auch unsere Herzen nackt, schlagend in Brüsten aus Glas.
Vogelgesang ergoß sich
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