Coins - Die Spur des Zorns
Hauses, als Kevins Kopf über der Treppeneinfassung erschien. Mit auffälliger Eile nahm er die Stufen, im Nu war er in der Hofeinfahrt verschwunden. Er wirkte irgendwie gehetzt, schien es verdammt eilig zu haben. Drei hatten nun die gemeinsame Wohnung verlassen, fehlte nur noch einer. Pohl hasste es, zu warten, doch es half nichts, er musste untätig ausharren, bis auch der vierte Mann das Feld geräumt hätte.
Die Zeit kroch unerträglich langsam dahin, wie sie es stets tat, wenn er durch Unvorhergesehenes daran gehindert wurde, seinen Plan schnellstmöglich umzusetzen. Um sich über die quälende Warterei hinwegzuhelfen, nahm Pohl sein Umfeld näher ins Visier. Kevins Wohngemeinschaft hauste im Tiefparterre eines vergammelten Häuserblocks, der besser gestern als heute abgerissen werden sollte. Das vierstöckige Backsteingebäude wurde mit dem gegenüberliegenden durch einen Quertrakt verbunden, durch dessen Mitte die Hofeinfahrt führte. Das andere Ende des Innenhofs wurde durch ein Ensemble aus ehemaligen Kleintierställen und daraus teilweise hervorgegangenen provisorischen Garagen gebildet, dem die handwerkliche Eigenleistung deutlich anzusehen war. Alles machte einen heruntergekommenen Eindruck, der durch eingeworfene Scheiben erblindeter Fenster verstärkt wurde.
Pohl hatte erfahren, dass die Gebäude seit Jahren leer standen und längst abgerissen werden sollten, ungeklärte Besitzverhältnisse jedoch jede Aktion bisher verhinderten. Dies ausnutzend hatte sich eine leidensfähige Klientel hier eingenistet, der es lediglich darauf ankam, bei Bedarf ein festes Dach über dem Kopf zu haben. Die Stadt duldete die ‚milde Besetzung‘, trug sie doch zu gewisser Entspannung und Kontrollierbarkeit latenten Konfliktpotentials bei.
Pohl hatte bisher keines der Häuser betreten, doch deren Äußeres erlaubte auch so hinreichende Rückschlüsse auf die Beschaffenheit der Wohnungen. Pohls diesbezügliche Erwartung wurde untermauert durch das ungepflegte Outfit der WG-Genossen, die kurz vor Keffko das Haus verlassen hatten. Er war auf alles gefasst, sah dies jedoch als nicht dramatisch an, musste er sich doch nur kurz in Keffkos Behausung aufhalten. Er schaute ungeduldig auf die Uhr. Wann würde endlich der vierte Bursche die Wohnung verlassen? Hatte der Kerl dies etwa schon getan, bevor er seinen Beobachtungsposten in der Frühe bezog? War der Typ möglicherweise krank oder zugekifft? Oder die Nacht über woanders untergeschlüpft? Pohl beschloss, nicht länger zu warten. Er kramte die Gummi-handschuhe aus der Jackentasche, zog sie über. Es ging los!
Nach einem prüfenden Blick hoch zu den trostlosen Innenhoffassaden huschte er über die Freifläche, dann die Treppe zum tiefer gelegenen Eingang der WG hinunter. Er drückte behutsam die Klinke. Die Tür war unverschlossen! Er öffnete sie einen Spalt, lauschte. Nichts rührte sich. Allein der unverkennbare Mief erkalteter Joints ließ darauf schließen, dass die hinter der Tür verborgenen Räumlichkeiten nicht nur Mäusen und Ratten Asyl boten. Er trat in den Flur, blickte von dort durch eine offen stehende Tür auf einen von unterschiedlichen Stühlen und Hockern umgebenen Tisch. Es war nicht das Mobiliar, das seine Aufmerksamkeit fesselte, es war vielmehr das Chaos auf der Tischplatte: Schnapsflaschen, Milchtüten, Pizzaschachteln, Fast Food-Styroporpackungen, Bier- und Cola-Dosen und weiß der Teufel sonst noch alles zeugte von zahllosen Fress- und Saufgelagen. Wie mochte es hinter der Tür erst aussehen?
Behutsam näherte er sich dieser, stets darauf vorbereitet, auf den vierten Mann zu stoßen. Je näher er der Tür kam, desto impertinenter wurde der Gestank. Offensichtlich war seit Wochen kein Müll aus der Wohnung geschafft worden. Er spähte kurz in den Raum, erschauderte angesichts des sich darin offenbarenden Durcheinanders, das keinen Zweifel daran ließ: Hier ‚lebte‘ man, geschlafen wurde irgendwo anders.
Der Flur machte vor der Tür einen rechtwinkligen Linksknick, gab dahinter den Blick auf weitere Türen frei. Bevor Pohl sich dem ‚Wohnzimmer‘ widmen konnte, musste er sich davon überzeugen, ob er sich allein in der Wohnung befand. Keinesfalls durfte ihn jemand bei seinem Vorhaben beobachten. Lautlos bewegte er sich von Tür zu Tür, inspizierte die dahinter liegenden Räume, alle gleichermaßen trost- wie fensterlos. Ihre ‚Ausstattung‘ beschränkte sich auf vergammelte Matratzen, unordentlich hingeworfene Decken, da und dort auch
Weitere Kostenlose Bücher