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Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. M. Goeglein
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Lagerhaus erinnerte mich an das Windy City Gym und an Willy. Und mit dem Augenblick, da ich an diesem alten Ort das Notizbuch aufschlug, erwachte die Vergangenheit wieder zum Leben – mächtig, aufwühlend und gefährlich. Ich vertiefte mich darin, und als ich das Notizbuch wieder zuklappte und es beiseitelegte, war der Rest der Woche vorbei.
    Was ich bei diesem Crashkurs erfahren hatte, war wie ein krankes Flüstern von den Seiten zu mir gedrungen.
    Der größte Teil war schockierend, vieles andere schmerzhaft, der Rest beschämend.
    Alles davon betraf meine Familie.
    Die Erkenntnis drang in mein Bewusstsein wie die stumpfe Nadel einer bösartigen Krankenschwester. Irgendetwas ließ das Notizbuch erzittern – ich sah, dass es meine eigenen Hände waren – und ein Schrei stieg in meiner Kehle auf und drang bis in meinen Mund. Er gurgelte wie bittere Übelkeit, aber als ich meine Lippen öffnete, kam nichts als ein »oh … mein … Gott« heraus, das gar nicht nach meiner Stimme klang. Es hörte sich an, als sei noch jemand im Zimmer, denn so war es – ein anderes Ich, von dessen Existenz ich nichts gewusst hatte, bevor ich im Notizbuch davon las.
    Davon, wie eng der Rispoli-Clan mit dem Syndikat vernetzt war. So eng, dass die verdammte Organisation ohne uns überhaupt nicht funktionsfähig war.
    Es waren keine Andeutungen oder Gerüchte. Schlimmer noch, es war ein Geheimnis, und das ist lediglich ein anderer Ausdruck für eine verborgene Tatsache. Schwarz auf weiß stand dort, wie die Männer meiner Familie drei Generationen lang die übelsten psychopathischen Gangster Chicagos (und der ganzen Welt) unterstützt und angestiftet hatten. Wenn das alles stimmte – und die Trillionen mikroskopischer Eiszapfen, die sich in jeden Quadratzentimeter meiner Haut bohrten, ließen mich spüren, dass es stimmte –, dann war das ganze Leben, das meine Eltern vorsichtig um mich herum aufgebaut hatten, nichts als eine Lüge.
    Ich fuhr mir mit der Zunge über meine trockenen Lippen, während das andere Mädchen noch einmal sagte: »Oh mein Gott.«
    Es gibt Dinge, von denen ich mir wünschte, dass ich sie über meinen lange verblichenen Urgroßvater, meinen lieben kleinen Grandpa und meinen Dad mit seinem ungewissen Schicksal nie erfahren hätte.
    Auch über Melasse erfuhr ich einige neue Fakten, die mich dazu brachten, diese zuckrige, zähe Flüssigkeit auf ganz absurde Weise zu hassen.
    Immer wieder ließen mich diese Wünsche und dieser Hass beim Lesen innehalten, während ich mich in das erste Kapitel des Notizbuchs vertiefte, »Noi – wir«, womit das gesamte Chicago Outfit gemeint war. Innerhalb des Kapitels gab es einen Abschnitt mit der Überschrift » La storia della famiglia Rispoli è la storia del Outfit a Chicago «, was übersetzt hieß: »Die Geschichte der Familie Rispoli ist die Geschichte des Outfits in Chicago«. Auf diesen Seiten erfuhr ich nicht nur, welche einzigartige Stellung meine Familie in dieser Verbrecherorganisation innehatte, sondern auch, wie es mit der Melasse angefangen hatte.
    Melasse kann man mittels Gärung zur Herstellung von Alkohol verwenden.
    Vor allem für Rum, aber auch für andere Arten von billigem Schnaps.
    In Chicago und über die Stadtgrenzen hinaus war meine Familie die Quelle dieses zuckrigen Grundstoffs.
    Wenn ich Quelle sage, meine ich damit nicht nur Verkauf und Vertrieb. Vielmehr wurde die gesamte Melasseversorgung der Stadt von Nunzio »Blue Eyes« Rispoli kontrolliert, meinem Urgroßvater (wer hatte geahnt, dass auch er einen Spitznamen hatte?). Er hatte Rispoli & Sons in den Zwanzigern als Tarnfirma gegründet, da Bäckereien große Mengen süßer Rohstoffe wie Melasse benötigten und ihre Bestellungen den Bundesbehörden daher nicht auffielen. Nunzios Geschäfte weiteten sich immer mehr aus, bis er zum Hauptversorger vieler Dutzend geheimer Schnapsbrennereien wurde und verdeckt viele Tausend Liter von dem Zeug aus Kanada importierte.
    Er war dem Oberboss des Syndikats, Al Capone, eng verbunden.
    Ihre Beziehung basierte nicht auf Bewunderung oder Respekt.
    Sondern vielmehr auf Geld, tonnenweise Geld, das Nunzio bezahlte, um seine Geschäfte machen zu können.
    Capone befahl jedem Schwarzbrenner der Stadt, die kostbare Melasse ausschließlich von Nunzio zu beziehen, und im Gegenzug überließ Nunzio Capones Organisation fünfzig Prozent der Gewinne. Capone kassierte auch bei den Schwarzbrennern die Hälfte der Profite; von dem, was er den Gangstern abnahm, die

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