Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
entscheidend. Und in dieser Situation erinnerte er sich an Nunzio. Er erinnerte sich an die überragende Fähigkeit des kleinen Mannes, schwierige Persönlichkeiten auf Linie zu bringen, und auch wenn er nicht wirklich erwartete, dass Nunzio Strozzini und Battuta würde zähmen können, war es doch zumindest einen Versuch wert.
Mit dem Ende der Prohibition war auch das Melasse-Geschäft für Nunzio vorbei, aber er hatte genug Geld verdient, um sich vom Syndikat zurückzuziehen und wirklich Bäcker zu werden; er stellte fest, dass er diesen Beruf tatsächlich sehr gern ausübte. Meine Urgroßmutter Ottorina führte das Ladengeschäft, und wunderbar hintersinnig boten sie darin eine ganz besondere Spezialität an: Karamellkekse mit viel Melasse. Grandpa Enzo arbeitete schon als kleiner Junge in der Backstube, und an dieser Stelle erfuhr ich etwas Seltsames. Offensichtlich nannte Nunzio sein Geschäft Rispoli & Sons, also Söhne, im Plural, weil er noch einen weiteren Sohn hatte. Grandpa Enzo hatte einen jüngeren Bruder, über den hier nicht mehr stand, als dass es ihn gab – nicht einmal sein Name war erfasst. Aber um auf die ursprüngliche Geschichte zurückzukommen: Nitti fragte Nunzio, ob er zwischen Strozzini und Battuta vermitteln wolle, und Nunzio erklärte sich dazu bereit. Nur Nunzio selbst, Nitti und die zwei Streithähne waren bei dem Treffen dabei. Was dann geschah, darüber verriet das Notizbuch kaum Einzelheiten, aber offenbar umarmten sich Strozzini und Battuta am Ende und schworen sich gegenseitig Treue bis in den Tod. Was auch immer Nitti bei diesem Treffen mitangesehen haben mochte, von diesem Tag an war Nunzio der offizielle Schlichter und Friedensstifter. Er führte schließlich den Titel »Vermittler« und legte Streitigkeiten im Club Molasses bei, sodass aus der früheren Flüsterkneipe schließlich so etwas wie ein Gerichtssaal wurde.
Im Notizbuch steht nichts darüber, mit welchen Methoden Nunzio die hartgesottenen Gangster dazu brachte, sich zu vertragen und zusammenzuarbeiten. Allerdings gibt es einen Papierfetzen, der aus einem Geschichtsbuch herausgerissen und an eine Seite geheftet wurde. Er ist alt und vergilbt und aus vielen einzelnen Stückchen zusammengeklebt, als ob ihn jemand einmal in den Reißwolf gesteckt hatte, sich dann eines Besseren besann und ihn wieder zusammensetzte. Ich konnte meinen Herzschlag in meinen Ohren dröhnen hören, als ich diesen Text las, denn darin stand auch etwas über mich.
»Nach einer anstrengenden Reise erreichte das Forschungsteam 1906 das entlegene sizilianische Dorf Buondiavolo, das inmitten kahler Hügel an der Südspitze der Insel gelegen ist und dessen Bewohner die Nachfahren eines obskuren Volksstammes sind, der einst in Ägypten gefangen genommen wurde, nachdem er den Truppen Alexanders des Großen eine heftige Schlacht geliefert hatte. Alexander war damals vor allem deswegen überrascht, weil der wilde Clan sich zwar in der Unterzahl befand, aber völlig emotionslos kämpfte, ohne Kriegsgeschrei oder Wutgebrüll. Diese Kälte schüchterte die Truppen des großen Herrschers so sehr ein, dass sie fast kampfunfähig wurden; hätte Alexander nicht noch Verstärkung anfordern können, wären seine Soldaten allein durch diese Angst besiegt worden. Er hielt es für das Beste, Frieden mit dem Stammesführer zu schließen, dem härtesten Kämpfer dieses Volkes, der sich gleichzeitig durch besondere Ruhe und Gelassenheit auszeichnete. Besonders fasziniert war Alexander von seinen Augen, die beschrieben wurden als »kleine Kreise aus Eis, von kleinen Splittern brennenden Goldes erhellt«. Der Häuptling sagte ihm, es sei ein Erbe der Pharaonen – die seltenen Salze in dem kostbarsten aller Metalle erhielten nicht nur das Leben, sondern verliehen auch übernatürliche Kräfte. Er zog daraufhin einen Behälter mit schimmerndem Sand hervor und erklärte, nur der Häuptling habe das Privileg, Gold zu essen. Alexander zeigte großen Respekt für diesen Brauch, wie er es allen Wilden gegenüber tat, die er besiegt hatte, und nahm den Stamm als Eliteeinheit in sein Heer auf, die später bei den härtesten Schlachten an vorderster Front kämpfte. Zuletzt schickte er seine neuen Verbündeten nach Sizilien gegen aufständische Griechen, aber dann starb er unerwartet. Sein Reich zerfiel, das Rad der Geschichte drehte sich weiter, und der Volksstamm blieb an diesem Ort, der später Buondiavolo genannt wurde.
Die Forscher stellten fest, dass die Dorfbewohner
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