Colin-Saga 01 - Der Mond der Meuterer
würde überleben können, meldete sich eine andere Stimme zu Wort.
»Es wäre möglich«, wählte Kapitän Inanna ihre Worte mit Bedacht, »dass sie verzweifelt sind.«
»Genauer!«, forderte Anu sie nur knapp auf, und sie zuckte mit den Schultern.
»Sie werden alt«, erklärte sie mit leiser Stimme. »Sie haben imperiale Kampfjäger eingesetzt, und sie können einfach nicht mehr viele übrig haben. Vielleicht sind die in noch schlechterer Verfassung, als wir bisher gedacht hatten. Vielleicht ist das so eine Art ›letztes Aufbäumen‹, ein letzter Versuch, uns so weit wie möglich zu schaden, solange sie überhaupt noch imperiale Technik einzusetzen in der Lage sind.«
»Hmpf!« Anu runzelte die Stirn und betrachtete seine Hände, die er zusammengekrampft in den Schoß gelegt hatte. »Vielleicht hast du Recht«, entschied er schließlich, »aber das ändert nichts daran, dass sie drei Viertel unserer Hauptstützpunkte ausgeschaltet haben. Der Schöpfer allein weiß, was sie als Nächstes tun werden!«
»Was können sie denn überhaupt tun, Chief?« Diese Frage kam von Jantu, dem Leiter der Sicherheitsabteilung der Enklave. »Das einzige noch übrige große Ziel wäre Nanga Parbat, und den Stützpunkt haben wir bereits aufgegeben. Klar, die haben uns ordentlich geschadet, aber das waren die einzigen Ziele, die sie mit imperialen Waffen hatten treffen können. Und …«, fuhr er mit einem Seitenblick zu Ganhar gewandt fort, »… wenn wir diese Anlagen mehr in der Nähe von Zentren mit größerer Bevölkerungsdichte errichtet hätten, dann hätten sie auch die nicht treffen können.«
Ganhar knirschte mit den Zähnen. Jantu war ein echter Schlägertyp, ein Sadist, der eher dazu neigte, Abweichungen von der eigenen Meinung dadurch auszumerzen, dass er alle Abweichler unterdrückte, als dass er selbst über irgendetwas nachdachte, und doch besaß er eine ganz eigene Art und Weise der Verschlagenheit. Er liebte es, radikale, viel zu stark vereinfachende Lösungen für anderer Leute Probleme vorzuschlagen. Wenn sie verworfen wurden, konnte er dann später immer noch sagen, dass er ja schon vor langer Zeit darauf hingewiesen habe, sie würden das ganze Problem falsch angehen. Wurden seine Vorschläge berücksichtigt und zeitigten Erfolg, dann nahm er das Verdienst für sich in Anspruch; scheiterten sie, dann konnte er immer noch irgendjemanden dafür verantwortlich machen: Irgendein Detail sei schlampig ausgeführt worden, behauptete er dann. Genauso war es mit seinem immer und immer wieder vorgebrachten Argument, es sei sinnvoll, Städte als Schutzwall zu nutzen, sodass ihre eigenen Stützpunkte deutlich schwerer anzugreifen wären – schließlich, so behauptete er, würde die Verweichlichung, die der Feind den Degenerierten gegenüber immer wieder unter Beweis stellte, ihn davon abhalten, dort einen Angriff vorzunehmen. Natürlich würde dieses Vorgehen es auch viel schwieriger machen, besagte Stützpunkte geheim zu halten; aber das zu bewerkstelligen war ja nicht Jantus Aufgabe – und damit auch nicht sein Problem.
»Vielleicht hätte das gar keinen Unterschied gemacht.«
Inanna empfand für Jantu fast ebenso große Abneigung wie Ganhar, und ihre Augen – die jetzt schwarz waren, nicht braun – blickten ihn hart an. »Sie haben es riskiert, die Degenerierten so sehr in Panik zu versetzen, dass sie womöglich einen Krieg begonnen hätten. Nach allem, was wir bisher wissen, hätten sie unsere Stützpunkte vielleicht auch angegriffen, wenn wir sie unmittelbar unter dem Stadtkern von New York oder Moskau angelegt hätten.«
»Das bezweifle ich«, gab Jantu zurück und entblößte seine Zähne – in einer Geste, die man großzügig als ›Lächeln‹ hätte bezeichnen können. »In all den …«
»Es ist egal!«, unterbrach Anu ihn kühl. »Was hingegen nicht egal ist, ist, dass es geschehen ist. Was vermutest du, Ganhar: Wie wird ihr nächster Schritt aussehen?«
»Das … weiß ich nicht.« Ganhar wählte seine Worte mit Bedacht. »Ich bin nicht gerade glücklich darüber, wie still sich die Militärs der Degenerierten verhalten haben. Das könnte vielleicht von Bedeutung sein, vielleicht aber auch nicht – ich habe bisher noch nicht genügend Daten, um mir in der einen wie der anderen Richtung ein Urteil erlauben zu können. Es tut mir Leid, Chief, aber das ist alles, was ich derzeit sagen kann.«
Innerlich bereitete er sich bereits auf einen neuen Wutausbruch vor; doch es war klüger, hier ehrlich zu
Weitere Kostenlose Bücher