Colin-Saga 01 - Der Mond der Meuterer
Degenerierten schien niemand zu begreifen, was hier vor sich ging, doch sie, die Imperialen, wussten sehr wohl bereits, dass das hier etwas war, das sie nicht erklären konnten. Dass die Südstaatler so weit in praktisch alle größeren Regierungen vorgedrungen waren, vor allem bei der Asiatischen Allianz, hatte ausgereicht, um zu verhindern, dass gegen rein terranische Gegner Präventivschläge unternommen wurden; doch den Westen hatten sie deutlich weniger unter Kontrolle, und die Tatsache, dass ihre Gegner offensichtlich bereit waren, derartige Risiken einzugehen, war schon sehr ernüchternd.
Doch längst nicht so ernüchternd, dachte Ganhar bei sich, wie eine andere Möglichkeit. Vielleicht hatten ihre Gegner ja einen Grund dafür, so sicher zu sein, sie würden die Lage beherrschen können? Das war durchaus möglich, denn auch wenn die Südstaatler zahlreiche zivile Organisationen im Griff hatten, so war ihnen die Besatzung der Nergal doch bei den westlichen Militärs weit voraus.
Die ersten Berichte hatten dazu geführt, dass aus allen möglichen Richtungen gefordert wurde, es müsse etwas unternommen oder zumindest untersucht werden, was genau eigentlich passiert sei; doch es war ihren eigenen Maulwürfen unter der Zivilbevölkerung gelungen, jegliches ›übereiltes Handeln‹ vorerst zu verhindern, auch wenn es einige unschöne Wortgefechte gegeben hatte. Doch jetzt war ein undurchdringlicher Mantel des Schweigens über sämtliche westlichen Militärs gebreitet worden, und dieses Schweigen empfand Ganhar als zutiefst unheilvoll.
Er biss sich auf die Zunge, wünschte sich sehnlichst bessere Aufklärungsarbeit, was die Militärs betraf, diese Militärs jedoch waren nun einmal ein sehr eingeschworener Haufen. Und, so sehr es ihm auch widerstrebte, es zuzugeben, diese Bereitschaft der Nordstaatler, die Degenerierten wie Ihresgleichen zu behandeln, besaß eindeutig seine Vorteile. Sie hatten Jahrhunderte darauf verwendet, ihre Netzwerke zu knüpfen, hatten manche ihrer Mitarbeiter schon gleich nach der Geburt rekrutiert, manche sogar noch früher. Ganhar und Kirinal hingegen hatten sich darauf konzentriert, Erwachsene anzuwerben, zogen es vor, mit Personen zusammenzuarbeiten, deren Schwächen deutlich erkennbar waren. Dieses Vorgehen besaß Vorteile – so konnte man diese Personen etwa sehr viel leichter angreifen, wenn sie zu weit aufzusteigen drohten –, doch die allgemeine Tendenz in hoch technisierten Kulturen, kleine, hochspezialisierte militärische Gruppierungen einzusetzen, in denen auch auf berufsbezogene Aus- und Weiterbildung Wert gelegt wird, arbeitete ihrem eigenen Vorgehen entgegen.
Ihre Verfahren, den militärischen Hintergrund einer Person zu überprüfen, war mindestens ebenso streng wie bei entsprechenden Zivilpersonen, und die Tatsache, dass es immer wieder undichte Stellen in den Zivilbehörden und dergleichen gegeben hatte, war der Grund dafür, dass Personen, die sich für die Offizierslaufbahn entschieden hatten, noch stärker bevorzugt wurden. Und was noch viel schlimmer war: Ganhar wusste , dass die Nordstaatler in engem Kontakt zu den traditionellen, angesehenen Offiziersfamilien standen – aber das eindeutig zu beweisen, war eine Aufgabe, die der Zerstörer selbst ersonnen haben mochte! Und es bedeutete, dass die Militärkontakte des Feindes praktisch in die angestrebten Positionen hineingeboren waren, und es gab Sponsoren, die bereit waren, ihre eigenen Leute zu bevorzugen und dabei allen anderen Personen gegenüber doppeltes Misstrauen an den Tag legten.
Ganhar andererseits hatte keine andere Möglichkeit, als bereits etablierte Offiziere zu korrumpieren, und damit riskierte er stets entsprechende Gegenspionage, oder er musste Lebensläufe fingieren (was immer riskant war, selbst bei diesen Primitiven, und noch mehr bei den Degenerierten, die von der Gegenseite imperiale Unterstützung erhielten), und deswegen war es ihm und seinen Leuten so sinnvoll erschienen, sich bei der Infiltration stattdessen auf einflussreiches Zivilpersonal, das gelegentlich sogar dem Militär gegenüber weisungsbefugt war, zu beschränken.
Er hoffte, dass diese Vorgehensweise ihnen jetzt nicht wie ein Bumerang entgegenschlagen würde.
»Also, Ganhar?« Mit seiner rauen Stimme unterbrach Anu den Gedankengang. »Was denkst du: Warum haben die sich jetzt ins Freie gewagt? Vorausgesetzt, du denkst überhaupt darüber nach!«
Während Ganhar noch zögerte, weil er nach einer Antwort suchte, die er auch
Weitere Kostenlose Bücher