Collector’s Pack
nahmen die Veränderungen in ihrer Straße kaum wahr. Die wenigen, die überhaupt etwas bemerkten, klagten nur über den plötzlichen Mangel an Parkplätzen. Für den Umzugswagen vor Haus Nummer 15c, aus dem Tische und Kartons ausgeladen wurden, interessierten sich die wenigsten. Die Überwachungskameras an den Straßenlaternen und die bewaffneten Männer in den fensterlosen Lieferwagen an beiden Enden der Straße blieben ebenso unbemerkt und unsichtbar wie die Frauen und Männer, die spät in der Nacht hier abgesetzt worden waren. Keiner der Anwohner ahnte, was in den drei Stockwerken von Haus Nummer 15c vorging.
Die kleine Wohnung in der Via Corinaldo wirkte jetzt wie das improvisierte Lagezentrum einer Guerilla im Untergrund. Mit dem Unterschied, dass die Mitglieder dieser Organisation Priesterkleidung und Nonnenhabit trugen. Und eine kleine versteckte Tätowierung mit dem Triskelenzeichen und einem stilisierten Schwert darunter. In dem Wohnzimmer, wo Franz Laurenz wenige Tage zuvor noch Peter Adam begrüßt hatte, drängten sich nun Tische mit Computern, Telefonen und Druckern. Kabel flossen von den Tischkanten hinab über den Boden, bündelten sich in Steckdosen und verzweigten sich weiter in die anliegenden Räume, sogar in die kleine Küche. An den Tischen saßen Nonnen konzentriert über Laptops mit Satellitenbildern und Aufnahmen von Überwachungsdrohnen, gaben schwarz gekleidete Priester per Telefon Anweisungen durch. Andere steckten bunte Positionsfähnchen in eine Weltkarte an der Wand oder installierten weitere Computer. Alle Anweisungen, Lageberichte und Gespräche wurden auf Latein geführt. Gedämpftes Stimmengewirr erfüllte den abgedunkelten Raum, dennoch wirkte die Atmosphäre gesammelt und konzentriert. Ganz wie Franz Laurenz es aus seiner Zeit im Apostolischen Palast gewohnt war. Dennoch vermisste er für einen Moment den Überblick und die ruhige Art seines ehemaligen Privatsekretärs Alexander Duncker, den Nikolas am Tag seines Rücktritts als Papst getötet hatte. Ein fähiger Mann, Laurenz hatte ihn gemocht, obwohl Duncker hinter seinem Rücken mit dem Opus Dei verhandelt hatte. Laurenz fragte sich, ob er den Kampf gegen die Träger des Lichts nicht schon am Tag seines Rücktritts verloren hatte. So viele, die er gemocht und geschätzt hatte, waren gestorben. Seine eigene Tochter hatte er in den Tod gehen lassen. Laurenz wusste, dass der Herr ihn einst dafür strafen werde. Er strafte ihn ja bereits. Seit Maria verschwunden war, litt Laurenz unter schlimmsten Schuldgefühlen und verzweifelte fast an der Sorge um Maria. Er haderte mit Gott und hasste sich selbst. Das Bild der mumifizierten, tätowierten Frauenleiche mit dem Löwenkopf in Suite 306 verfolgte ihn. Im Augenblick wurde die Mumie von Forensikern des Ordens untersucht. Aber wie auch immer das Ergebnis der Untersuchungen lauten mochte – das konnte, das durfte nicht Maria sein.
Laurenz wusste jedoch, dass er jetzt nicht verzagen durfte. Mehr als jemals zuvor war dies die Stunde, in der er führen musste. Stark sein musste, um die hauchdünne Chance nicht zu verschenken, die Apokalypse noch irgendwie aufzuhalten. Er wurde noch gebraucht. Jedenfalls solange es Gott gefiel, ihm die Kraft zu geben. Er überlegte kurz, ob er Sophia anrufen sollte, verwarf den Gedanken jedoch. Es gab ohnehin keine Neuigkeiten über Marias Zustand, und er bezweifelte, dass Sophia ihm das Schicksal ihres gemeinsamen Kindes überhaupt verzeihen konnte. Also riss er sich zusammen, trat neben Pater Anselmo, der sich vor seinem Computer auf einen Wust von Codezeilen konzentrierte und reichte ihm einen Kaffee und ein Tramezzino mit Thunfisch.
»Wie kommen Sie voran, Anselmo?«
Der blasse Jesuit zuckte schreckhaft zusammen. »Es ist kompliziert. Sie hinterlassen kaum Spuren. Aber ich versuche es weiter über die IP-Adresse in Nepal, die sie kürzlich unvorsichtigerweise hinterlassen haben.«
Laurenz legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Sie machen das großartig, Pater Anselmo. Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Pater Anselmos Hand flog zu dem Verband an der Stelle, an dem sein Ohr gewesen war, doch er nickte. »Ich bin froh, helfen zu können.«
»Essen Sie zwischendurch mal was. Wir brauchen Sie noch.«
Anselmo rang sich ein gequältes Lächeln ab und biss pflichtschuldig in das Sandwich.
Yoko Tanaka, die einzige nicht katholische Frau in dem improvisierten Lagezentrum, unterbrach das Gespräch der beiden. Sie hielt ein Telefon in der
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