Collector’s Pack
Garten des kleinen Hotels Nettuno und überlegten, was dieser Tag ihnen alles bringen mochte. Aber an diesem Morgen wirkten ihre Eltern stiller als sonst, ihr Lachen schepperte wie die Radkappe, die Niko gefunden hatte. Die Welt hatte einen Riss bekommen.
Sie hatten Besuch. Ein Mann und eine Frau. Der Mann hatte große Hände und trug einen schwarzen Anzug mit einem goldenen Kreuz am Revers. Die Frau hatte grüne Augen und roch gut nach Seife.
»Das sind Franz und Sophia«, sagte seine Mutter. »Sie werden einige Tage bei uns bleiben.«
»Hallo, Peter«, sagte der Mann und ging in die Hocke. »Du musst keine Angst haben.«
»Was hast du da?«, fragte Niko die Frau und zeigte auf ihren Bauch, der sich wie ein Ball unter ihrem geblümten Kleid wölbte.
»Ein Baby«, sagte die Frau und strich Niko übers Haar.
»Wie heißt es?«, fragte Peter.
»Wenn es ein Junge wird, Johannes. Wenn es ein Mädchen wird, dann Maria.«
Maria.
Niko durfte sogar den Bauch anfassen.
»Darf ich auch mal?«, traute sich Peter jetzt zu fragen.
»Natürlich.« Die Frau nahm seine Hand und legte sie auf ihren Bauch. Peter spürte, wie sich darunter etwas regte, das noch keinen Namen hatte. »Maria«, sagte Peter leise.
In den nächsten Tagen sprachen Sophia und Franz viel mit seinen Eltern. Auf Italienisch. Seine Mutter weigerte sich auch, jemals wieder in der anderen Sprache zu reden. Das erleichterte ihn. Er beschloss ebenfalls, die andere Sprache und Dr. Seth zu vergessen.
Einmal hörte er, wie Franz etwas auf Deutsch zu seinen Eltern sagte. »Sie müssen jetzt eine Entscheidung treffen.« Er wiederholte diesen Satz mehrmals. »Ich kann Ihnen helfen, aber Sie müssen jetzt eine Entscheidung treffen.«
In dieser Zeit sah Peter seine Mutter zum ersten Mal weinen, und eine namenlose Furcht überfiel ihn. Die Furcht, dass sich nun alles verändern würde. Niko schien es ebenfalls zu spüren. Auch er weinte viel, vor allem nachts, und ihre Mutter musste sich zu ihnen ins Bett legen, damit sie überhaupt schlafen konnten.
»Was auch immer passiert«, flüsterte sie. »Ihr dürft euch niemals trennen. Hört ihr? Niemals!«
Niemals.
»Aber wenn euch trotzdem einmal irgendetwas trennen sollte, dann müsst ihr mir versprechen, dass ihr euch wiederfindet.«
Sie reckten die Hände und schworen es.
In dieser Nacht konnte er nicht einschlafen. Er hörte, wie seine Eltern nebenan lange miteinander sprachen. Sein Vater sagte: »Wenn nicht jetzt, dann nie.« Am nächsten Tag packten seine Eltern eilig und schweigend und fuhren mit ihm und Niko zum Flughafen. Der Mann mit den großen Händen schenkte ihnen zum Abschied zwei kleine Stoffhasen. Niko nannte seinen Mucki, Peter seinen Flunki. Als sie ein paar Stunden später zusammen das Flugzeug verließen, erklärte seine Mutter ihnen, dass sie nun in Frankreich wären. Immer noch schien die Sonne, in der Ferne glitzerte immer noch das Meer. Peter wusste nicht, was Frankreich war, aber er wusste, dass es nie wieder so sein würde wie vorher, denn da war immer noch dieser Riss in der Welt. Nach einigen Tagen reisten sie wieder ab, diesmal mit einem dunkelgrünen Auto. Die Sitze rochen nach Rauch. Sie fuhren und fuhren, machten nur kurze Pausen und schliefen jede Nacht in einem anderen Hotel. Sein Vater erklärte ihnen, dass alles gut werde, aber Peter, fünf Jahre alt, wusste, dass das eine Lüge war. Er sah die Angst seiner Eltern im Rückspiegel. Er sah, dass sie sich oft umdrehten, als ob Dr. Seth plötzlich hinter ihnen auftauchen könnte. Mucki und Flunki waren schon ganz nass und rau vor Tränen.
»Müssen wir bald zu Dr. Seth zurück?«, fragte Peter einmal vorsichtig, und seine Mutter zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen.
»Keine Angst. Wir werden nicht mehr zu Dr. Seth zurückkehren«, sagte sein Vater. Die erste gute Nachricht. Peter glaubte seinem Vater trotzdem nicht, denn er sah Dr. Seth jede Nacht in seinen Träumen. Durch den Riss in der Welt rief er nach ihm.
Komm zurück nach Hause, mein Sohn.
Er träumte auch von einem Mann mit Löwenkopf. Als er Niko davon erzählte, nickte sein Bruder nur stumm und verängstigt.
Manchmal aber fiel die Furcht von ihnen ab wie trockener Sand, und das Lachen kehrte zurück. Manchmal sah Peter, wie sich seine Eltern auch wieder küssten. An einem anderen Meer und einem Deich mit einem Leuchtturm blieben sie etwas länger, und seine Mutter setzte sich sogar wieder zu ihnen an den Strand und half ihnen, die Wellen schaumiger zu
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