Collector’s Pack
schwach, ruhig und regelmäßig im Rhythmus des Lichts. Es schien wirklich zu atmen, und Peter war nun ganz sicher, dass er dieses Ding in seinem Leben schon einmal gesehen hatte. Allerdings war es damals leer gewesen. Unfertig. Nun erkannte er, dass sich darin etwas bewegte. Eine ausgewachsene menschliche Gestalt, zusammengekrümmt wie ein Embryo. Peter war plötzlich sicher, dass dieses Wesen in dem Kokon den Kopf eines Löwen hatte.
Viel furchtbarer als der Anblick dieses monströsen Kokons jedoch war etwas anderes. Auf einem kleineren Steinblock vor dem faserigen Gebilde lag Maria. Nackt, ihr Körper mit blutigen Symbolen und henochischen Zeichen bemalt, als wenn ein Wahnsinniger versucht hätte, seine Tätowierung nachzuahmen. Der linke kleine Finger fehlte, der Stumpf war mit einer bräunlichen Paste bedeckt. Ob sie bei Bewusstsein war, konnte Peter nicht erkennen – aber sie lebte. Sie atmete flach im Rhythmus des Wesens in dem Kokon. Peter wollte zu ihr hinstürzen, doch zwei der Mönche packten ihn sofort und hielten ihn eisern zurück.
Der Gesang der Mönche wurde jetzt lauter, ging in ein keuchendes Stakkato über und endete dann abrupt mit einem Aufschrei aus vierzehn Kehlen.
»HOATH SETH! HOATHAHE SAITAN!«
Und dann – Stille. Maria, die die ganze Zeit über regungslos auf dem Opferstein gelegen hatte, richtete sich langsam auf, machte einen Schritt auf ihn zu und sah Peter dabei an. Mit einem Blick, der nicht mehr zu der Frau gehörte, die er liebte.
Und dann sprach sie zu ihm. Mit ihrer Stimme. Sie raschelte sanft und mild wie ein Septemberabend, umwehte ihn, hüllte ihn ein, ganz und gar. Ihre Stimme. Und dennoch, wusste Peter, dass aus dieser Frau vor ihm nicht Maria sprach, sondern das Wesen in dem Kokon. Seth.
»Willkommen im Licht, Peter«, sagte Maria und berührte zärtlich seine Wange. Peter zuckte zurück.
Der Moment aus seinen Albträumen. Der Moment, vor dem er sich sein Leben lang gefürchtet hatte.
»Vater!«, sagte Peter. Und alles kam zurück.
XLVIX
Sommer 1981, Taormina, Sizilien
S ommer! Die Sonne verbrannte ihnen Schultern und Nasen und kochte die Zitronen und Aprikosen an den Bäumen süß. Die Welt raschelte und knisterte wie neu. Sie schmeckte nach Verpackung und Abenteuer und raunte ihm zu: »Wünsch dir was!« Sie stürmten hinunter zum Strand, wo das Meer nur so glitzerte und blinkte, dass man verrückt werden konnte. Einfach reinspringen und kreischen musste.
»Himmel, was schreist du so, Peter?« Das Lachen seiner Mutter perlte vom Strand her zu ihm rüber und badete ihn in Liebe.
»Weil ich muss !«, brüllte er prustend. »Ichmussichmussichmuss!«
Die Welt war warm. Seine Mutter, die Luft, das Meer. Alles da. Und gleich neben ihm im Wasser: Nikolas. Niko. Sein Bruder. Peitschte das Glitzern mit beiden Händen, kreischte mit ihm um die Wette und drehte sich dabei im Kreis wie ein Derwisch.
Sie tauchten nach Seeigeln und streiften mit ihrer Mutter über Märkte voller Gerüche und Tonnen voll blutig-buntem Fischgekröse. Und wenn sie nachts in ihren Betten lagen und Peter seinen Bruder neben sich atmen hören konnte, dann zählte er zufrieden nach: Beine, Arme, Rumpf, Kopf – alles da.
Perfekt .
»Ich wünsche mir einen Spiderman-Anzug«, flüsterte Niko in der anderen Sprache , die sie nur mit ihren Eltern und Dr. Seth teilten. Peter hasste die andere Sprache.
»Ich wünsche mir, dass alles so bleibt, wie es gerade ist«, flüsterte Niko.
Ja!
Ein scharfer Pfiff aus der Nacht. Ein Regionalzug jammerte irgendwo unter ihnen sein Lied.
»Halt die Luft an, Niko.«
»Warum?«
»Darum.«
Sie pressten die Augen zu, während der Zug vorbeiraste und an Scheiben und Regalen rüttelte. Einundzwanzig, zweiundzwanzig … Einen Wunsch frei, wenn sie es schafften, bevor der Zug durch war. Mit einem Windhauch flogen sie aus dem Fenster, wehten über dem Hotel wie Rauch in zitternder Luft. Da das Meer, dort die Straße, die Schienen, und in der Ferne der Ätna mit seinem rötlichen Schein. Peter und Nikolas kauerten in Muscheln am Hafenbecken und spürten, wie das Wasser sie umströmte. Sie quetschten sich in reife Pfirsiche, bis sie platzten, und erschreckten einen alten Kater. Und wenn sie dann voll und leer zugleich von ihren nächtlichen Streifzügen wieder zurückkehrten, wussten sie beide, dass sie lebten. Dass sie zusammengehörten. Für immer.
Auf die Nacht folgte ein Morgen, der nach Sonne, Staub und Abenteuer schmeckte. Sie saßen mit ihren Eltern im
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