Collector’s Pack
und zu dünne Luft hinterher. Angeblich kannten sie den Weg. Die beiden wechselten kein Wort mit ihm. Sie kannten die Berge und wussten, was Berge mit einem machten. Bühler mochte sie. Er mochte den Abt und sein Kloster. Er mochte ihren salzigen Buttertee, ihre Linsen, ihre Ruhe und ihre Genügsamkeit. Zwischendurch hing er sogar kurz dem Gedanken nach, ob dieses Tal da unten nicht ein guter Platz für ihn und Leonie sein könnte. Mit Bergen, Menschen, die nicht viele Worte machten und fern von all dem Dreck, dem Tod und dem Leid. Eine schöne Vorstellung. Manchmal, wenn der Regen etwas nachließ, wenn die Wolken sich für Momente hoben und Bühler keuchend verschnaufte, konnte er schroffe, graue Felswände erkennen, die die Hochweide zu allen Seiten einschlossen. Wie ein Gefäß, das ein unfreundlicher Gott geschaffen hatte, um sein größtes Geheimnis aufzubewahren. Ein Ort, fern von allem Leben und aller Freude.
»Scheiß drauf.«
Er hustete, spuckte aus und stapfte weiter. Noch höher. Bis sie an eine Felswand stießen und einer der Mönche ihm bedeutete, dass dies die Stelle sein müsste.
Er fand den Eingang nicht auf Anhieb, denn man hatte die Höhle bereits wieder mit schweren Steinblöcken verschlossen. Zum Glück war die Zeichnung von Dawa Zangmo präzise genug. Bühler fragte sich nur, ob die Ladung ausreichen würde. Er verschnaufte einen Moment und schickte die beiden Mönche zurück zum Kloster. Dann knetete er die Hälfte des C4 zu einer dicken Wurst, presste sie in eine Spalte zwischen den Steinblöcken, drückte die Zündkapsel hinein und ging hinter einem seitlichen Felsvorsprung in Deckung.
Das Echo der Detonation rollte über die matschige Hochweide, brach sich knirschend an den Felswänden, gewitterte durch die Wolken, donnerte zurück und ergoss sich träge ins Tal wie ein letztes Lebenszeichen. Als Bühler hinter dem Felsvorsprung hervortrat, sah er, dass der Eingang frei war.
Die ersten Meter musste er sich durch einen engen Spalt quetschen, dann öffnete sich der Gang so weit, dass er auf allen vieren kriechen konnte. Es ging leicht abwärts, der Boden war felsig und trocken, dennoch spürte Bühler einen feuchten Lufthauch aus der Tiefe, der ihn wie der Atemzug eines großen Tieres umwehte. Als er sich in einer kleinen Grotte etwas aufrichten und erneut verschnaufen konnte, erreichte ihn das Echo einer weiteren Detonation. Die Höhle erzitterte, wie unter einem dumpfen Schlag. Bühler glaubte zuerst an einen Lawinenabgang irgendwo draußen, ausgelöst durch seine Sprengung, aber als er die stoßartige Veränderung des Luftdrucks spürte, verstand er, dass es sich um eine Explosion handeln musste. Sie kam aus der Tiefe und musste sehr heftig gewesen sein, der Erschütterung und dem Luftzug nach.
Weitere Geräusche hörte Bühler nicht mehr. Der Berg schluckte jeden Laut und alle Zeit. Bühler kam sich vor, als werde er gerade vom Annapurna verdaut. Er musste sich beeilen. Der Gang, der offenbar zu einem natürlichen Höhlensystem gehörte, verzweigte sich oft, aber Bühler folgte einfach weiter dem feuchten Luftzug und bald auch einem fernen Lichtschein, der schwach durch die Höhle pulsierte und ihn bis in das niedrige Gewölbe führte.
Die Höhle, in der der Löwenmann schlief.
Ein Ort jenseits aller Vernunft. Dahinter, dachte Bühler, kann nur noch leeres Chaos herrschen. Er hatte keinen Zweifel, was da in dem faserigen Kokon auf dem achteckigen Stein schwamm wie ein Fötus in einer Fruchtblase. Er konnte ihn fast erkennen in dem pulsierenden Glimmen aus dem Inneren des Gewebes. Bühler hatte genug Grauen in seinem Leben gesehen und gelernt, seinen Verstand abzudichten, mit einer Haut aus Gleichgültigkeit und Professionalität zu schützen. Trotz des unbegreiflichen Anblicks verlor er keine Zeit, packte den Rest des Sprengstoffes aus, platzierte ihn unter dem faserigen Gewebe und drückte die Zündkapsel mit dem Funkfernzünder hinein. Geübte Handgriffe, die ihm halfen, nicht verrückt zu werden und den Wahnsinn nicht zu akzeptieren. Dennoch zündete er den Sprengsatz nicht, denn er wollte sich den Rückweg freihalten, und außerdem war er hier noch nicht fertig.
Nach einer kurzen Untersuchung der Höhle stieß er auf einen Gang, der mit blauen Leuchtstreifen markiert war und offenbar weiter ins Innere der Anlage führte. Die Tür am Ende des Ganges war demoliert, wie von einer riesigen Faust einfach eingedrückt. Ein Mann in einer weißen Mönchskutte lag zerquetscht darunter.
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