Collector’s Pack
aus dem Bereich des unsichtbaren Feuers zu gelangen, als er ein Geräusch hörte und zu dem großen vergoldeten Stupa hinaufsah. Unter dem Stupa drang ein Stöhnen hervor wie von einem großen Tier, seit Urzeiten in der Tiefe gefangen. Peter wunderte sich immer noch, dass er nicht brannte, und spürte nun, dass die Erde bebte. Und was er sah, überstieg all seine Vorstellung von Physik und Naturgesetzen. Das Gold des großen achteckigen Stupas schmolz. Tonnen von Gold, in Schichten über die Jahrhunderte aufgebracht, wurden weich, warfen Blasen und lösten sich zischend von dem Bauwerk. Peter sah, wie das glühend-flüssige Metall am Sockel des Stupas breiig wurde, auseinanderfloss und sich als goldener Strom in den Pagodenhof ergoss. Tonnen von flüssigem, tödlichem Gold. Peter sah, wie Menschen, die noch nicht brannten, von dieser goldenen Lava erwischt wurden und unter grässlichen Schreien darin versanken. Und das Beben verstärkte sich. Etwas drängte da machtvoll aus der Tiefe empor.
Es wurde Zeit zu verschwinden.
Peter rannte auf den Ostausgang zu und stürmte die Treppen hinab auf die Straßenkreuzung, verfolgt von Strömen von Gold, die in der Mittagssonne gleißten wie reinstes, flüssiges Licht. Immer noch barfuß, rannte Peter im Zickzack zwischen den Autos hindurch, die sich zu Hunderten auf der Kreuzung stauten. Niemand beachtete ihn. Die Menschen, die vor wenigen Minuten ihr Leben noch in heiterer buddhistischer Gleichmut als fortwährenden Wechsel von Leid und Glück erduldet hatten, sahen nun voller Entsetzen zu, wie der Stupa der Sule-Pagode schmolz und wie sich darunter die Hölle auftat.
XXXI
7. Juli 2011, Köln
D en ganzen Flug über verfolgte ihn das grinsende Gesicht von Edward Kelly, bis tief hinein in seine kurzen Träume. Er musste im Schlaf geschrien haben, denn die Stewardess weckte ihn und fragte, ob es ihm gut gehe.
Nein. Ganz und gar nicht.
Wieder und wieder fragte sich Peter, wie Kelly fast gleichzeitig in Rom, Köln und Yangon sein konnte. Warum er überhaupt noch lebte. Ohne befriedigendes Ergebnis. Trotz der Ereignisse der vergangenen Wochen hegte Peter immer noch einen Widerwillen gegen die Vorstellung, dass er es hier mit Mächten zu tun hatte, die sich allen Naturgesetzen entzogen.
Die Frage ist, ob du in einer solchen Welt noch leben willst.
Die Frage musste man sich stellen.
Er hatte die letzte planmäßige Maschine nach Singapur bekommen, bevor der Flughafen von Yangon geschlossen wurde. Das Chaos am Flughafen war sein Glück gewesen. Die Sicherheitsbeamten hatten ihn mit seinem falschen Diplomatenpass passieren lassen, ohne die Berichte der Staatssicherheit abzuwarten und ohne zu beanstanden, dass er keine Schuhe trug. Erst am Flughafen von Singapur hatte er sich neue Schuhe, frische Unterwäsche und ein Hemd kaufen können und war nur mit knapper Not der Horde von Reportern entwischt, die den Passagieren am Gate auflauerten.
Nach weiteren vierzehn Stunden Flug und einer kurzen Zugfahrt kam er am späten Vormittag am Kölner Hauptbahnhof an. Er fühlte sich grässlich. Ungewaschen, erschöpft, verzweifelt, alt. Er sehnte sich nach Schlaf. Nach einem Ausflug ans Meer. Nach Maria. Nach irgendetwas Schönem.
Vergiss es. Konzentrier dich.
Ohne einen Blick auf den Dom zu werfen, der sich trotzig und schwarz neben dem Bahnhof behauptete wie ein siecher Nachbar mit lebenslangem Bleiberecht, stieg Peter in ein Taxi und ließ sich zum Rheinsternhaus fahren. Das Taxi hatte den Bahnhofsvorplatz noch nicht verlassen, als ihn die SMS erreichte.
Nicht ins Apartment. Warte im Dom auf mich.
Wieder eine Nummer, die Peter nicht kannte. Dennoch hatte er keinen Zweifel, dass die Nachricht von Nikolas kam.
»Halten Sie bitte!«, rief er dem Taxifahrer zu und tippte eine Antwort.
Wo bist du?
Die Antwort blieb aus. Peter zahlte dem verärgerten Taxifahrer ein üppiges Trinkgeld und ging zurück zum Dom. Er sah auf den Südturm, der ihm heute merkwürdig bedrohlich erschien, als ginge von ihm eine große Gefahr aus, und setzte sich in eine Bank im Längsschiff der Kathedrale. Er wartete. Zwischendurch überlegte er sogar, ob er beten sollte, ließ es aber.
Als ob dir das noch helfen könnte.
Nach einer Stunde erhob er sich und schlenderte durch die Kathedrale, die er bei unzähligen Schulausflügen hatte besichtigen müssen. Gotische Architektur und Kunst sagten ihm nichts. Überhaupt war der Dom bis ins 19. Jahrhundert hinein eine halbfertige Baustelle gewesen und somit
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