Collector’s Pack
nichts als ein sentimentaler Fake. Wenn man ihn fragte.
Aber dich fragt ja keiner.
Schlechtgelaunt ließ sich Peter auf dem Strom der Touristengruppen treiben und folgte eine Weile einer Frau mit schönen Beinen, bis sie ihn bemerkte und ein Gesicht zog. Er schrieb Nikolas eine weitere SMS.
Verdammt, wo bleibst du?
Kurz darauf die Antwort.
Kann nicht weg. Kümmere dich um Marina!
Peter spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte.
Wo bist du??? Was ist bei dir los???
Und kurz darauf:
Verschwinde aus dem Dom! Sofort!!! Wir treffen uns in Santiago de Compostela.
Santiago de Compostela?
Alarmiert durch die plötzliche Warnung und den rätselhaften neuen Treffpunkt rief Peter die angezeigte Nummer an. Nikolas nahm nicht ab. Gleichzeitig spürte Peter, wie ein Schatten aus den Tiefen seiner Erinnerung heraufkroch und sich rasch überall ausbreitete. Eine lähmende Erinnerung aus Kindertagen, verbunden mit dem Gefühl, sich selbst entrissen zu werden. Er wusste, was das bedeutete. Er erinnerte sich. Sie waren dabei, ihm Nikolas wegzunehmen.
Der Schatten wurde zu einem Schmerz, der sich von seinen Fingern hinauf bis an sein Herz fraß.
Er stirbt!
Kein Zweifel. Peter konnte förmlich spüren, wie das Leben seinen Zwillingsbruder verließ, wo auch immer er war.
Stöhnend krümmte sich Peter zusammen und verfolgte ohnmächtig die Agonie seines fernen Bruders. Jemand fragte ihn, ob es ihm gut gehe, doch das hörte Peter nicht. Benommen vor Schmerz taumelte er durch das Längsschiff zum Kapellenkranz, wo Bauleute einen Teil des Mauerwerks restaurierten. Als Peter sich zitternd an dem Gitter zu der kleinen Kapelle festhielt, sah er das Relief an der Wand. Es wurde normalerweise von einem Triptychon verdeckt, jetzt lag es frei. Das Relief schien alt zu sein, älter als dieser Teil des Doms. Möglicherweise hatte man es aus einem älteren Teil hier eingesetzt, wo man es geschickt verstecken konnte. Es zeigte ein doppeltes achteckiges Symbol und darüber das Tatzenkreuz der Templer.
Als Peter dieses Symbol sah, verstand er, was Nikolas’ Warnung bedeutete. Und dass es zu spät war. Zu spät für Nikolas und zu spät für eine Rückkehr in seinen eigenen Körper. Überhaupt zu spät.
Er spürte bereits das Beben unter seinen Füßen, eine ferne Vibration nur, von irgendwo aus der Tiefe. Und mit diesem leichten Vibrieren drangen aus dieser Tiefe auch die Schreie seines sterbenden Bruders herauf.
Peter wollte jetzt beten. Zur Muttergottes, zu Gott oder irgendeinem Gott, es war ihm egal. Er wollte um das Leben seines Bruders bitten. Wollte sein eigenes Leben anbieten zum Tausch. Aber dazu kam er nicht mehr. Denn als er in die Kapelle nebenan taumelte, traf ihn die Nacht und das Vergessen.
XXXII
33 n. Chr., Jerusalem
D ie verhasste Stadt war ungewöhnlich still, erstarrt wie eine Eidechse nach dem Regen der letzten Nacht und der empfindlichen Kälte jetzt am Morgen. Aber der Präfekt wusste es besser. Die ganzen letzten Tage hatte die Stadt vor getuschelten Nachrichten und wirren Ankündigungen vibriert wie ein Tier, das sich auf den entscheidenden Sprung vorbereitete. Die warme Frühlingsluft hatte es nur schlimmer gemacht, hatte die Menschen auf die Straßen und Plätze gelockt und ein altes Feuer angefacht. Dieses Gerücht hasste der Präfekt Pontius Pilatus mehr als die Lügen und diplomatischen Winkelzüge des Sanhedrins. Zu allem Übel füllte sich die Stadt seit Wochen mit Pilgern aus allen Teilen des Landes, die zum Pessachfest anreisten und die ohnehin angespannte Lage nur verschärften. Von den Hohepriestern des Sanhedrin im Tempel erwartete der Präfekt ohnehin keine Unterstützung mehr. Er wusste, dass sie sich laufend beim Kaiser über ihn beschwerten und ihn diskreditierten, wo es nur ging. Durch seinen Geheimdienst wusste er auch, dass sie heimlich die Zeloten und jede Form von messianischer Erwartung im Volk unterstützten, um ihn und damit die Macht Roms zu schwächen.
Da also zum Pessachfest mit Aufständen oder zumindest Anschlägen der Zeloten zu rechnen war, hatte der Präfekt seinen Amtssitz kurzzeitig aus der prächtigen Zitadelle am Jaffator ins Prätorium verlegt, einer wuchtigen Festung des Herodes an der Nordseite des Tempels, wo auch die beiden Kohorten und die syrische Reiterala stationiert waren.
In ein wollenes Pallium gehüllt, stand der Präfekt auf der obersten Terrasse der Festung. Wieder eine Nacht ohne Schlaf, dem Schmerz hilflos ausgeliefert, der wie ein
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