Collins, Suzanne
»Trau ihnen nicht. Kehr nicht
zurück. Töte Peeta. Tu das, wofür du hergekommen bist.«
Ich beuge mich zurück, sodass ich sein Gesicht sehen kann.
»Was meinen Sie? Boggs? Boggs?« Seine Augen sind offen, aber ohne Leben. In
meiner Hand, mit seinem Blut verklebt, halte ich das Holo.
Das Trampeln von Peetas Füßen gegen die Schranktür durchbricht
unser Keuchen. Während wir lauschen, scheint seine Kraft nachzulassen. Das
Trampeln wird zu einem unregelmäßigen Trommeln. Dann nichts mehr. Ich frage
mich, ob er jetzt auch gestorben ist.
»Ist er tot?«, fragt Finnick mit einem Blick auf Boggs.
Ich nicke. »Wir müssen hier raus. Sofort. Wir haben gerade sämtliche Kapseln
in der Straße ausgelöst. Garantiert haben sie uns mit der Überwachungskamera
erfasst.«
»Davon kannst du ausgehen«, sagt Castor. »Die Straßen sind
voller Überwachungskameras. Ich wette, dass sie die schwarze Welle von Hand
ausgelöst haben, als sie sahen, dass wir den Propo aufnehmen.«
»Unsere Funkgeräte haben den Geist aufgegeben. Vermutlich
durch einen elektromagnetischen Impuls. Aber ich bringe uns zurück zum Lager.
Gib mal das Holo her.« Jackson streckt die Hand danach aus, doch ich drücke es
an die Brust.
»Nein. Boggs hat es mir gegeben«, sage ich.
»Mach dich nicht lächerlich«, sagt sie barsch. Sie denkt
natürlich, dass es ihr zusteht. Sie ist Boggs' Stellvertreterin.
»Es stimmt«, sagt Homes. »Er hat die Oberste Sicherheitsprüfung
auf sie übertragen, als er im Sterben lag. Ich war dabei.«
»Weshalb hätte er das tun sollen?«, fragt Jackson.
Ja, weshalb? Mir schwirrt der Kopf von den entsetzlichen
Ereignissen der letzten fünf Minuten - Boggs verstümmelt, sterbend, tot,
Peetas brutale Raserei, Mitchell blutüberströmt, im Netz gefangen und von der
widerlichen schwarzen Welle verschluckt. Ich drehe mich zu Boggs um, gerade
jetzt brauchte ich ihn so dringend. Auf einmal bin ich überzeugt, dass er, und
vielleicht nur er, voll und ganz auf meiner Seite war. Ich denke an seine
letzten Befehle ...
»Trau ihnen nicht. Kehr nicht zurück. Töte Peeta. Tu das,
wofür du hergekommen bist.«
Was hat er gemeint? Wem soll ich nicht trauen? Den Rebellen?
Coin? Den Leuten, die mich jetzt anschauen? Zurückkehren werde ich nicht, aber
er muss wissen, dass ich Peeta nicht einfach eine Kugel in den Kopf jagen kann.
Oder doch? Sollte ich das tun? Hat Boggs geahnt, dass ich eigentlich hergekommen
bin, um zu desertieren und Snow im Alleingang umzubringen?
Ich komme hier einfach nicht weiter, also beschließe ich,
erst mal Befehl Nummer eins und zwei auszuführen: niemandem zu trauen und
weiter ins Kapitol vorzudringen. Aber wie soll ich das den anderen erklären?
Wie bringe ich sie dazu, dass ich das Holo behalten kann?
»Weil ich im Sonderauftrag von Präsidentin Coin unterwegs
bin. Ich glaube, Boggs war der Einzige, der darüber Bescheid wusste.«
Das kann Jackson nicht überzeugen. »Und was für ein Sonderauftrag
soll das sein?«
Warum nicht einfach die Wahrheit sagen? Sie ist nicht unglaubwürdiger
als alles, was ich mir ausdenken könnte. Aber es muss nach einem echten Auftrag
aussehen, nicht nach einer Racheaktion. »Präsident Snow zu töten, bevor die
Verluste durch diesen Krieg nicht wiedergutzumachen sind.«
»Das nehme ich dir nicht ab«, sagt Jackson. »Als dein
derzeitiger Kommandant befehle ich dir, die Oberste Sicherheitsprüfung auf
mich zu übertragen.«
»Nein«, sage ich. »Damit würde ich gegen den Befehl von
Präsidentin Coin verstoßen.«
Die Gewehre sind im Anschlag, die eine Hälfte ist auf
Jackson gerichtet, die andere Hälfte auf mich. Es sieht so aus, als müsste eine
von uns sterben, aber da meldet sich Cressida zu Wort. »Es stimmt. Deshalb sind
wir hier. Plutarch will es aufzeichnen. Er denkt sich, wenn wir filmen können,
wie der Spotttölpel Snow tötet, wird der Krieg zu Ende sein.«
Das lässt sogar Jackson zögern. Dann zeigt sie mit ihrem
Gewehr zum Wandschrank. »Und warum ist er dann hier?«
Eins zu null für sie. Mir fällt kein vernünftiger Grund
ein, weshalb Coin einen so labilen Jungen, der darauf programmiert ist, mich zu
töten, herschicken sollte, wenn es um einen derart entscheidenden Auftrag geht.
Wieder springt Cressida mir bei. »Die beiden Interviews mit Caesar Flickerman
nach den letzten Spielen wurden doch in Präsident Snows Privatquartier aufgenommen.
Deshalb meint Plutarch, Peeta könnte uns als Führer nützlich sein. Wir kennen
uns dort ja nicht
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