Collins, Suzanne
wie
eine Wolke und mit vergoldeten Schmetterlingen verziert. Ihr Lippenstift ist
verschmiert von dem Fett der halb gegessenen Wurst, die sie in der Hand hält.
Ich sehe ihr an, dass sie mich wiedererkennt. Sie öffnet den Mund, um nach
Hilfe zu rufen.
Ohne Zögern schieße ich ihr ins Herz.
23
Wen die Frau rufen wollte, bleibt ein Geheimnis, denn als
wir das Apartment durchsuchen, stellen wir fest, dass sie allein war.
Vielleicht wollte sie einen Nachbarn alarmieren, vielleicht hat sie nur aus
Angst geschrien. Jedenfalls ist niemand hier, der sie hätte hören können.
Dieses Apartment wäre das perfekte Versteck für uns, aber
diesen Luxus können wir uns nicht leisten. »Was meint ihr, wie lange es dauert,
bis sie darauf kommen, dass ein paar von uns überlebt haben?«, frage ich.
»Sie können jeden Moment hier sein«, antwortet Gale. »Sie
wussten, dass wir auf dem Weg nach oben waren. Wahrscheinlich wird die
Explosion sie kurz aus dem Konzept bringen, aber dann werden sie sofort
versuchen herauszufinden, wo wir durchgeschlüpft sind.«
Ich spähe durch die Jalousien eines Fensters, das auf die
Straße hinausgeht, und kann zwar keine Friedenswächter entdecken, dafür aber
eine Menge Leute, die ihren Geschäften nachgehen. Auf unserer Reise durch den
Untergrund haben wir die evakuierten Gebiete weit hinter uns gelassen und sind
in einem belebten Teil des Kapitols wieder aufgetaucht. Die Menschenmenge ist
unsere einzige Chance zu entkommen. Ich habe zwar kein Holo mehr, dafür habe
ich Cressida. Sie tritt zu mir ans Fenster und bestätigt, dass sie weiß, wo wir
sind, nicht sehr weit vom Präsidentenpalast entfernt. Das höre ich gern.
Ein kurzer Blick auf meine Gefährten sagt mir allerdings,
dass ein Überraschungsangriff auf Snow zurzeit nicht infrage kommt. Gale
verliert nach wie vor Blut aus der Wunde an seinem Hals, die wir nicht einmal
säubern konnten. Peeta sitzt auf einem mit Samt bezogenen Sofa und hat die
Zähne in ein Kissen geschlagen, entweder um den Wahnsinn abzuwehren oder um
einen Schrei zurückzuhalten. Pollux lehnt mit dem Rücken zu uns an einem
Deko-Kamin und weint. Cressida steht entschlossen neben mir, aber sie ist
leichenblass, selbst aus ihren Lippen ist das Blut gewichen. Mich treibt nur
der Hass an. Sollte der abebben, bin ich zu nichts mehr zu gebrauchen.
»Lasst uns die Schränke durchsuchen«, sage ich.
In einem der Schlafzimmer finden wir Hunderte Frauenkleider,
Mäntel, Schuhe und Perücken in allen Farben sowie genug Make-up, um ein Haus
damit anzumalen. In dem Schlafzimmer auf der anderen Seite des Flurs gibt es
die gleiche Ausstattung für Herren. Vielleicht gehört sie ihrem Ehemann, vielleicht
einem Liebhaber, der das Glück hat, heute Morgen aushäusig zu sein.
Ich rufe die anderen herbei, damit sie sich verkleiden.
Beim Anblick von Peetas blutigen Handgelenken krame ich in den Taschen nach dem
Schlüssel für die Handschellen, aber er wendet sich schnell ab.
»Nein«, sagt er. »Tu das nicht. Die sorgen dafür, dass ich
nicht völlig durchdrehe.«
»Vielleicht wirst du deine Hände brauchen«, wirft Gale
ein.
»Wenn ich merke, dass ich abdrifte, grabe ich meine Hände
in das Metall. Der Schmerz hilft mir, mich zu konzentrieren«, sagt Peeta. Ich
lasse die Handschellen, wo sie sind.
Zum Glück ist es draußen kalt, sodass wir unsere Uniformen
und Waffen großenteils unter wallenden Mänteln und Capes verbergen können. Die
Stiefel hängen wir uns an den Senkeln um den Hals, tarnen sie und ziehen
stattdessen affige Schühchen an. Die größte Herausforderung sind natürlich die
Gesichter. Cressida und Pollux könnten Bekannten in die Arme laufen, Gale
könnte man aus Propos und Nachrichten wiedererkennen, und Peeta und mich kennt
in Panem sowieso jeder. Hastig helfen wir einander, eine dicke Schicht Make-up
aufzutragen, und setzen Perücken und Sonnenbrillen auf. Cressida wickelt Peeta
und mir noch Schals über Mund und Nase.
Ich spüre, dass uns nicht viel Zeit bleibt, und stopfe mir
nur noch schnell die Taschen mit Lebensmitteln und Erste-Hilfe-Sets voll.
»Zusammenbleiben«, schärfe ich den anderen ein, bevor wir die Wohnung
verlassen. Dann gehen wir hinaus auf die Straße. Schneeflocken rieseln herab.
Aufgeregte Leute schwirren um uns herum, unterhalten sich im affektierten
Akzent des Kapitols über Rebellen und Hunger und mich. Wir überqueren die
Straße, passieren weitere Wohnungstüren. Als wir um die Ecke biegen, laufen
drei Dutzend
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