Collins, Suzanne
bequem sein, so dazuliegen, mit den Armen
über dem Kopf. Trotzdem ist auch er nach ein paar Minuten eingeschlafen.
Cressida und Pollux haben Betten für uns gemacht und unsere
Essens- und Medikamentenvorräte ausgebreitet. Jetzt fragen sie mich, ob wir
eine Wache aufstellen sollen. Ich schaue in Gales leichenblasses Gesicht und
auf Peetas Fesseln. Pollux hat seit Tagen kein Auge zugemacht und Cressida und
ich hatten höchstens ein paar Stunden Schlaf. Falls ein Trupp Friedenswächter
durch diese Tür kommen sollte, säßen wir wie die Ratten in der Falle. Wir sind
vollkommen einer altersschwachen Tigerfrau ausgeliefert, die einen hoffentlich
alles verzehrenden Wunsch hat: Snow tot zu sehen.
»Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass eine Wache etwas
bringen würde. Lasst uns lieber versuchen zu schlafen«, sage ich. Sie nicken
benommen und wir alle vergraben uns in unseren Pelzen. Das Feuer in mir ist
erloschen und mit ihm meine Kraft. Ich ergebe mich den weichen, muffigen Fellen
und dem Vergessen.
Ich kann mich nur an einen Traum erinnern. Einen langen,
ermüdenden Traum, in dem ich versuche, nach Distrikt 12 zu gelangen. Das
Zuhause, das ich suche, ist unzerstört, die Leute leben noch. Effie Trinket,
deutlich erkennbar an ihrer pinkfarbenen Perücke und dem Designerkostüm,
begleitet mich. Ich versuche, ihr zu entwischen, aber unerklärlicherweise
taucht sie immer wieder an meiner Seite auf und beharrt darauf, sie als meine
Betreuerin sei dafür verantwortlich, dass wir den Zeitplan einhalten. Nur dass
der Zeitplan ständig wechselt, weil es zu Verzögerungen kommt durch den
fehlenden Stempel eines Beamten oder einen abgebrochenen Absatz Effies.
Tagelang kampieren wir auf einer Bank im grauen Bahnhof von Distrikt 7, wo wir
auf einen Zug warten, der nie kommt. Als ich aufwache, fühle ich mich noch
erschöpfter als nach meinen gewohnten nächtlichen Ausflügen in Blut und
Schrecken.
Cressida, die als Einzige wach ist, sagt, dass es später
Nachmittag ist. Ich esse eine Dose Rindereintopf und spüle ihn mit viel Wasser
hinunter. Dann lehne ich mich an die Kellerwand und gehe die Ereignisse des
vergangenen Tages noch einmal durch. Bewege mich von Tod zu Tod. Zähle sie an
den Fingern ab. Eins, zwei - Mitchell und Boggs, verloren auf der Straße. Drei
- Messalla, in einer Kapsel geschmolzen. Vier, fünf - Leeg 1 und Jackson, die
sich im Fleischwolf opfern. Sechs, sieben, acht - Castor, Homes und Finnick,
die von den nach Rosen stinkenden Echsenmutationen enthauptet wurden. Acht
Tote in vierundzwanzig Stunden. Ich weiß, dass es passiert ist, und doch fühlt
es sich unwirklich an. Bestimmt schläft Castor dort unter dem Pelzstapel, kommt
Finnick gleich die Treppe heruntergepoltert, wird Boggs mir seinen Fluchtplan
unterbreiten.
An ihren Tod zu glauben, bedeutet zu akzeptieren, dass ich
sie getötet habe. Na gut, Mitchell und Boggs vielleicht nicht - sie sind in
Ausübung ihrer Pflichten gestorben. Aber die anderen haben ihr Leben verloren,
als sie mich in Ausführung eines Auftrags beschützten, den ich mir nur
ausgedacht habe. Mein Plan, Snow zu töten, kommt mir jetzt nur noch dumm vor.
Unglaublich dumm, während ich hier fröstelnd in diesem Keller sitze, unsere
Verluste nachrechne und an den Troddeln der kniehohen Silberstiefel nestele,
die ich aus dem Haus der Frau gestohlen habe. Oh, das habe ich ganz vergessen.
Sie habe ich auch getötet. Jetzt bringe ich schon unbewaffnete Zivilisten um.
Es ist an der Zeit, dass ich den anderen reinen Wein einschenke.
Als schließlich alle wach sind, gestehe ich. Wie ich mir
den Auftrag ausgedacht habe, wie ich mit meinem Rachedurst alle gefährdet habe.
Als ich fertig bin, folgt langes Schweigen. Dann sagt Gale: »Katniss, wir alle
wussten, dass die Sache mit Coins Auftrag, Snow umzubringen, gelogen war.«
»Ihr vielleicht. Aber die Soldaten aus Distrikt 13
bestimmt nicht«, sage ich.
»Glaubst du wirklich, Jackson hat dir abgenommen, du hättest
einen Befehl von Coin?«, fragt Cressida. »Natürlich nicht. Aber sie hat Boggs vertraut,
und er wollte ganz klar, dass du weitermachst.«
»Aber mit Boggs habe ich doch nie über meine Pläne gesprochen«,
sage ich.
»Du hast es jedem im Kommando erzählt!«, sagt Gale. »Es
war eine deiner Bedingungen, damit du den Spotttölpel gibst: >Ich töte
Snow.<«
Das eine hat doch nichts mit dem anderen zu tun: mit Coin
über das Privileg zu feilschen, wer nach Kriegsende Snow hinrichten darf, und
diese nicht genehmigte Flucht
Weitere Kostenlose Bücher