Collins, Suzanne
uns zu.
»Hier entlang!«, rufe ich den anderen zu. Ich bleibe dicht
an der Mauer und biege dann scharf rechts ab, um der Kapsel auszuweichen. Als
alle wieder bei mir sind, schieße ich in die Kreuzung, und der Fleischwolf
tritt in Aktion. Riesige mechanische Zähne brechen durch die Straße und
zermalmen die Fliesen zu Staub. Eigentlich dürfte es den Mutationen damit
unmöglich sein, uns zu folgen, aber wer weiß? Die Wolfs- und Affenmutationen
seinerzeit konnten unglaublich weit springen.
Das Zischen brennt sich in meine Ohren und von dem Rosengestank
wird mir ganz schwindelig.
Ich packe Pollux am Arm. »Vergiss den Auftrag. Wie kommen
wir am schnellsten an die Oberfläche?«
Wir haben keine Zeit, auf das Holo zu schauen. Wir folgen
Pollux etwa zehn Meter über den Transfer, dann geht es durch eine Tür. Ich
registriere, dass die Fliesen von Beton abgelöst werden, dass wir durch ein
enges, stinkendes Rohr kriechen, bis es an einem etwa dreißig Zentimeter
breiten Vorsprung endet. Einen Meter unter uns fließt der Hauptabwasserkanal,
eine giftige, brodelnde Brühe aus menschlichen Exkrementen, Müll und chemischen
Abwässern. An manchen Stellen brennt die Wasseroberfläche, an anderen steigen
unheilvoll aussehende Dampfwolken auf. Wer da hineinfällt, kommt nie wieder
heraus, das sieht man auf den ersten Blick. So schnell es irgend geht, laufen
wir über den glitschigen Vorsprung bis zu einer schmalen Brücke und überqueren
sie. Pollux klatscht mit der Hand auf eine Leiter, die in einer Nische steht,
und zeigt nach oben. Das ist er. Unser Weg nach draußen.
Ein rascher Blick auf unsere Schar zeigt mir, dass jemand
fehlt. »Wartet! Wo sind Jackson und Leeg 1?«
»Beim Fleischwolf, die Mutationen aufhalten«, sagt Homes.
»Was?« Niemanden würde ich diesen Monstern überlassen. Ich
stürze zurück zur Brücke, aber Homes reißt mich zurück.
»Lass sie nicht vergeblich gestorben sein, Katniss. Für
die beiden ist es sowieso zu spät. Schau!« Homes nickt zum Rohr hin, wo die
ersten Mutationen über den Vorsprung schlittern.
»Aus dem Weg!«, ruft Gale. Er schießt seine Sprengpfeile
ab und reißt das hintere Ende der Brücke aus der Verankerung. Genau in dem
Moment, als die Mutationen die Brücke erreichen, versinkt sie vollständig in
der brodelnden Kloake.
Zum ersten Mal kann ich die Viecher genauer betrachten.
Eine Mischung aus Mensch und Echse und wer weiß was noch. Weiße, straffe
Reptilienhaut, verschmiert mit geronnenem Blut, klauenbewehrte Hände und Füße,
groteske Gesichter. Sie zischen meinen Namen, kreischen ihn jetzt fast,
während ihre Körper sich vor Wut winden. Sie schlagen mit Klauen und Schwänzen
um sich, reißen sich im wahnsinnigen Verlangen, mich zu zerstören, gegenseitig
oder selbst mit aufgerissenen, schäumenden Mäulern riesige Stücke aus dem Leib.
Mein Geruch muss für sie so unerträglich sein wie ihrer für mich. Sogar noch
schlimmer, denn plötzlich springen die Mutationen eine nach der anderen in den
fauligen Abwasserkanal - ungeachtet des Gifts.
Vom anderen Ufer aus eröffnen wir das Feuer. Wahllos
schieße ich meine Pfeile in die Körper der Mutationen, die gewöhnlichen und
die mit Feuer- und Sprengspitzen. Sie sind tödlich, aber es ist knapp. Kein
natürliches Wesen könnte sich mit zwei Dutzend Kugeln im Leib auf den Beinen
halten. Irgendwie schaffen wir es, sie zu töten, doch es sind so unglaublich
viele, die immer weiter aus dem Rohr strömen und sich ohne Zögern ins giftige Wasser
stürzen.
Aber nicht ihre schiere Masse lässt meine Hände so stark
zittern.
Es gibt keine guten Mutationen. Sie sind alle dazu da,
Schaden anzurichten. Manche trachten einem nach dem Leben, wie die Affen.
Andere sollen den Verstand ausschalten, wie die Jägerwespen. Doch am
grausamsten und furchterregendsten sind die, die mit einem perversen
psychologischen Trick ausgestattet sind. Die Wolfsmutationen mit den Augen der
toten Tribute. Die Schnattertölpel, die Prims gefolterte Stimme nachahmten. Der
Geruch von Snows Rosen, vermischt mit dem Blut der Opfer. Dieser Geruch weht
jetzt über den Abwasserkanal herüber. Verbreitet sich trotz des
Fäulnisgestanks. Lässt mein Herz rasen, meine Haut zu Eis erstarren, hindert
meine Lunge daran, Luft aufzunehmen. Als würde Snow mir direkt ins Gesicht atmen,
weil es Zeit ist zu sterben.
Die anderen rufen, doch ich kann nicht antworten. Und während
ich einer Mutation den Kopf wegpuste, die nach meinem Knöchel greifen wollte,
werde ich
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