Collins, Suzanne
Gebot der Stunde. Für
alles gibt es einen strikten Plan, Mahlzeiten, Waschen, Bewegung und Schlafen.
Hin und wieder dürfen wir zusammenkommen, damit die Untätigkeit erträglicher
wird. Unser Lager ist sehr beliebt, weil die Kinder und auch die Erwachsenen
von Butterblume fasziniert sind. Mit seinem abendlichen Spiel »Der verrückte
Kater« ist er ein richtiger Star. Ich habe es vor ein paar Jahren zufällig
erfunden, als wir im Winter einen Stromausfall hatten. Man schwenkt eine
Taschenlampe durch den Raum und Butterblume jagt dem Strahl hinterher. Fies,
wie ich bin, habe ich meinen Spaß daran, weil ich finde, dass er dabei so
dämlich aussieht. Aus unerklärlichen Gründen finden alle anderen hier ihn klug
und niedlich. Für das Spektakel bekomme ich sogar neue Batterien zugeteilt -
was für eine Verschwendung. Die Bewohner von 13 gieren wirklich nach Unterhaltung.
In der dritten Nacht finde ich während unseres Spiels die
Antwort auf die Frage, die mich so quält. Der verrückte Kater wird zur Metapher
für meine Situation. Ich bin Butterblume, und Peeta, den ich unbedingt retten
will, ist das Licht. Solange Butterblume das Gefühl hat, er könne das
trügerische Licht mit den Pfoten festhalten, ist er voller Angriffslust. (So
war ich, als ich aus der Arena herauskam und erfuhr, dass Peeta lebt.) Wenn das
Licht ganz ausgeht, ist Butterblume zunächst verstört und verwirrt, doch nach
kurzer Zeit fängt er sich wieder und beschäftigt sich mit etwas anderem. (Das
würde passieren, wenn Peeta sterben würde.) Doch was Butterblume wirklich
fertigmacht, das ist, wenn ich die Taschenlampe eingeschaltet lasse, den
Strahl aber hoch an die Wand halte, außer Reichweite, sodass er nicht mal
springen kann. Dann geht er an der Wand hin und her, maunzt und lässt sich
weder trösten noch ablenken. Erst wenn ich die Taschenlampe ausschalte, ist er
wieder zu etwas zu gebrauchen. (Das versucht Snow jetzt mit mir zu machen, nur
dass ich nicht weiß, welche Formen das Spiel annimmt.)
Vielleicht will Snow ja nur, dass ich das begreife. Es war
schlimm genug zu glauben, dass er Peeta in der Hand hat und ihn foltert, um
etwas über die Rebellen herauszubekommen. Aber zu denken, dass er ihn foltert,
um mich außer Gefecht zu setzen, ist unerträglich. Und unter der Last dieser
Erkenntnis fange ich tatsächlich an zu brechen.
Nach dem »Verrückten Kater« ist Schlafenszeit. Mal haben
wir Strom, mal nicht; manchmal brennen die Lampen ganz hell, dann wieder
blinzeln wir einander im Dämmerlicht an. Zur Schlafenszeit drehen sie das Licht
fast völlig runter und schalten in jedem Lager Notleuchten an. Prim, die jetzt
überzeugt ist, dass die Wände halten, kuschelt sich mit Butterblume in die
untere Koje. Meine Mutter liegt in der oberen. Ich biete an, mich in eine der
Kojen zu legen, aber die beiden bestehen darauf, dass ich auf der Matte am
Boden schlafe, weil ich in der Nacht immer so wild um mich schlage.
Jetzt schlage ich nicht um mich, meine Muskeln sind starr,
weil ich mich mit aller Kraft zusammenreiße. Der Schmerz in meinem Herzen ist
wieder da, und ich stelle mir vor, wie sich von dort aus kleine Fissuren in
meinem Körper ausbreiten. Sie wandern durch meinen Oberkörper und von dort in
die Arme und Beine, über mein Gesicht, bis es von Rissen übersät ist. Eine
ordentliche Erschütterung durch eine Bunkerbombe und ich würde in
eigentümliche, messerscharfe Scherben zersplittern.
Als die meisten Leute eingeschlafen sind, schäle ich mich
vorsichtig aus meiner Decke und gehe auf Zehenspitzen durch die Höhle, bis ich
Finnick gefunden habe. Aus irgendeinem Grund spüre ich, dass er mich verstehen
wird. Er sitzt unter der Notleuchte in seinem Lager und macht Knoten in sein
Seil, er tut nicht mal so, als würde er schlafen. Während ich ihm zuflüstere,
wie Snow mich brechen will, dämmert es mir. Für Finnick ist diese Strategie
überhaupt nichts Neues. Genau so haben sie ihn gebrochen.
»Das Gleiche tun sie dir mit Annie an, stimmt's?«, sage
ich.
»Sie haben sie jedenfalls nicht gefangen genommen, weil
sie ihnen Informationen über die Rebellen beschaffen könnte«, erwidert er.
»Sie wussten, dass ich es nie riskiert hätte, ihr davon zu erzählen. Weil ich
sie damit in Gefahr gebracht hätte.«
»Oh, Finnick. Es tut mir so leid«, sage ich.
»Nein, mir tut es leid. Dass ich dich nicht gewarnt habe«,
sagt er.
Plötzlich taucht eine Erinnerung auf. Ich, wie ich an mein
Bett gefesselt bin, außer mir vor Wut und
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