Collins, Suzanne
gnädig sind sie nicht. Snow wird schon
dafür sorgen, dass Peetas Leben viel schlimmer ist als der Tod.
»Schnitt«, höre ich Cressida ruhig sagen.
»Was hat sie denn?«, fragt Plutarch leise.
»Sie hat begriffen, wie Snow Peeta benutzt«, sagt Finnick.
Die Leute, die in einem Halbkreis vor mir stehen, stoßen
so etwas wie einen kollektiven Seufzer des Bedauerns aus. Weil ich es jetzt
weiß. Weil es mir nie mehr möglich sein wird, es nicht zu wissen. Weil es nicht
nur unter militärischen Gesichtspunkten einen Nachteil bedeutet, einen
Spotttölpel zu verlieren, sondern weil ich darüber hinaus gebrochen bin.
Viele wollen mich umarmen. Aber ich will mich nur von
einem trösten lassen, von Haymitch, weil auch er Peeta liebt. Ich strecke die
Arme nach ihm aus und sage seinen Namen, und dann ist er da, hält mich fest und
tätschelt mir den Rücken. »Schon gut. Alles wird gut, Süße.« Er setzt mich auf
eine umgestürzte Marmorsäule und hält den Arm um meine Schultern, während ich
schluchze.
»Ich kann das nicht mehr«, sage ich.
»Ich weiß«, sagt er.
»Ich kann nur daran denken ... was er Peeta antun wird ...
weil ich der Spotttölpel bin!«, stoße ich hervor.
»Ich weiß.« Haymitch nimmt mich fester in den Arm.
»Hast du das gesehen? Wie verrückt er sich benommen hat?
Was machen sie nur mit ihm?« Zwischen den Schluchzern schnappe ich nach Luft,
und am Ende bringe ich noch einen Satz heraus: »Ich bin schuld!« Und dann werde
ich richtig hysterisch, ich spüre einen Nadelstich im Arm und die Welt entgleitet
mir.
Es muss etwas Starkes sein, was sie mir da gespritzt
haben, denn es dauert einen ganzen Tag, bis ich wieder zu mir komme. Aber ich
hatte keinen friedlichen Schlaf. Es fühlt sich so an, als würde ich aus einer
unheimlichen, dunklen Welt auftauchen, in der ich allein herumgereist bin.
Haymitch sitzt auf dem Stuhl neben meinem Bett, seine Haut wächsern, die Augen
blutunterlaufen. Ich denke an Peeta und fange wieder an zu zittern.
Haymitch drückt mir die Schulter. »Es wird alles gut. Wir
versuchen Peeta rauszuholen.«
»Was?« Ich verstehe überhaupt nichts.
»Plutarch schickt eine Rettungsmannschaft aus. Er hat
Leute da drin. Er glaubt, wir können Peeta lebend rausholen«, sagt er.
»Warum haben wir das nicht schon vorher gemacht?«, frage
ich.
»Weil es verlustreich wird. Aber alle sind sich einig,
dass wir es tun müssen. Die gleiche Entscheidung haben wir damals in der Arena
getroffen. Alles zu tun, damit du weitermachen kannst. Wir können es uns jetzt
nicht leisten, den Spotttölpel zu verlieren. Und du kannst deine Rolle nur
spielen, wenn du weißt, dass Snow Peeta nichts anhaben kann.« Haymitch reicht
mir eine Tasse. »Hier, trink mal was.«
Langsam setze ich mich auf und trinke einen Schluck
Wasser. »Was meinst du mit verlustreich?«
Er zuckt die Achseln. »Es werden Leute auffliegen. Manche
bezahlen vielleicht mit dem Leben. Aber vergiss nicht, dass jeden Tag welche
draufgehen. Und wir wollen nicht nur Peeta rausholen, sondern auch Annie für
Finnick.«
»Wo ist er?«, frage ich.
»Hinter dem Vorhang, schläft sein Beruhigungsmittel aus.
Gleich nachdem wir dir die Spritze verpasst hatten, ist er ausgeklinkt«, sagt
Haymitch. Ich lächele ein wenig, jetzt komme ich mir nicht mehr ganz so schwach
vor. »Ja, das war wirklich ein toller Dreh. Ihr beide mit Nervenzusammenbruch
und Boggs allein vor der Aufgabe, Peetas Befreiung zu organisieren. Wir
strahlen jetzt Wiederholungen aus.«
»Wenn Boggs sich um die Sache kümmert, ist das ja schon
mal gut«, sage ich.
»Oh ja, er hat alles im Griff. Sie haben Freiwillige
gesucht, aber meine Hand hat er sicherheitshalber übersehen«, sagt Haymitch.
»Siehst du? Damit hat er doch schon ein gutes Urteilsvermögen bewiesen.«
Irgendwas stimmt da nicht. Haymitch versucht ein bisschen
zu sehr, mich aufzuheitern. Das sieht ihm so gar nicht ähnlich. »Und wer hat
sich noch gemeldet?«
»Ich glaube, es waren insgesamt sieben«, sagt er ausweichend.
Ich habe ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube. »Wer,
Haymitch?«
Schließlich gibt er das Theater auf. »Das weißt du doch,
Katniss. Du weißt, wer als Erster vorgetreten ist.«
Natürlich weiß ich es.
Gale.
12
Heute könnte ich sie beide verlieren. Ich
versuche mir eine Welt vorzustellen, in der sowohl Gales als auch Peetas Stimme
verstummt sind. Die Hände reglos. Die Augen starr. Ich stehe vor ihren Körpern,
schaue sie ein letztes Mal an, verlasse den Raum,
Weitere Kostenlose Bücher