Collins, Suzanne
Trennung zurecht?«, fragt sie.
»Nicht gut. Ich weiß, dass Snow ihn jeden Moment umbringen
könnte. Vor allem, seit Peeta Distrikt 13 vor der Bombardierung gewarnt hat.
Es ist entsetzlich, damit zu leben«, sage ich. »Aber weil sie ihm so etwas
antun, gibt es für mich auch keinen Grund mehr, mich zurückzuhalten. Ich kann
jetzt alles daransetzen, das Kapitol zu zerstören. Endlich bin ich frei.« Ich
schaue nach oben und sehe einen Bussard am Himmel fliegen. »Präsident Snow hat
mir einmal gestanden, das Kapitol sei wacklig. Damals wusste ich nicht, was er
damit meinte. Ich konnte nicht klar denken, weil ich solche Angst hatte. Jetzt
habe ich keine Angst mehr. Das Kapitol ist wacklig, weil es in jeder Hinsicht
von den Distrikten abhängig ist. Lebensmittel, Energie, selbst die
Friedenswächter, die uns in Schach halten. Wenn wir unsere Freiheit verkünden,
bricht das Kapitol zusammen. Präsident Snow, Ihnen habe ich es zu verdanken,
dass ich heute offiziell meine Freiheit verkünden kann.«
Ich war ganz gut, vielleicht sogar umwerfend. Die
Geschichte mit dem Brot finden alle unheimlich toll. Und meine Botschaft an
Präsident Snow hat in Plutarchs Kopf etwas in Gang gesetzt. Schnell ruft er
Finnick und Haymitch zu sich, und sie haben ein kurzes, intensives Gespräch,
mit dem Haymitch offenbar nicht glücklich ist. Plutarch scheint sich
durchzusetzen - Finnick ist blass, doch schließlich nickt er.
Als Finnick sich anschickt, meinen Platz vor der Kamera
einzunehmen, sagt Haymitch zu ihm: »Du musst nicht.«
»Doch. Wenn es ihr hilft.« Finnick knüllt das Seil in
seiner Hand zusammen. »Ich bin so weit.«
Ich weiß nicht, was jetzt kommt. Eine Liebesgeschichte
über Annie? Ein Bericht über die Missstände in Distrikt 4? Doch Finnick Odair
schlägt eine ganz andere Richtung ein.
»Präsident Snow hat mich ... verkauft ... genauer gesagt
meinen Körper«, erzählt er ausdruckslos, distanziert. »Ich war nicht der
Einzige. Wenn ein Sieger als begehrenswert gilt, benutzt der Präsident ihn als
Belohnung oder bietet ihn für eine große Summe an. Weigert man sich, tötet er
jemanden, den man liebt. Also macht man mit.«
Das ist die Erklärung. Finnicks Parade von Geliebten im Kapitol.
Sie waren nie richtige Geliebte. Nur solche Menschen wie unser früherer
Oberster Friedenswächter Cray, der sich verzweifelte Mädchen kaufte, um sie zu
benutzen und wegzuwerfen, weil er es sich leisten konnte. Am liebsten würde ich
den Dreh unterbrechen und Finnick um Verzeihung dafür bitten, dass ich ihn so
falsch eingeschätzt habe. Aber wir müssen unseren Auftrag ausführen, und ich
merke, dass Finnicks Beitrag weitaus wirkungsvoller sein wird als meiner.
»Ich war nicht der Einzige, aber ich war der Beliebteste«,
sagt er. »Vielleicht auch der Hilfloseste, weil die Menschen, die ich liebte,
so hilflos waren. Die, die das Bett mit mir teilten, beschenkten mich mit Geld
oder Schmuck, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Aber ich entdeckte eine
viel wertvollere Form der Bezahlung.«
Geheimnisse, denke ich. Finnick hat mir
erzählt, dass seine Geliebten ihn damit bezahlten, nur dass ich annahm, er
hätte dieses Arrangement freiwillig gewählt.
»Geheimnisse«, sagt er, ein Echo meiner Gedanken. »Und
hier bleiben Sie lieber dran, Präsident Snow, denn so viele dieser Geheimnisse
handelten von Ihnen. Aber zunächst ein paar von den anderen.«
Finnick webt einen Teppich, der mit so vielen Details geschmückt
ist, dass man nicht an seiner Echtheit zweifeln kann. Geschichten von
ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben, von Untreue, maßloser Gier und blutigen
Machtspielchen. Geheimnisse, die des Nachts im Rausch auf feuchten Kopfkissen
geflüstert wurden. Finnick wurde gekauft und verkauft. Ein Sklave aus einem
Distrikt. Ein gut aussehender zwar, doch im Grunde harmlos. Wem hätte er schon
etwas erzählen sollen? Und wer hätte ihm geglaubt? Aber manche Geheimnisse sind
zu köstlich, um sie nicht weiterzuerzählen. Ich kenne die Leute nicht, die
Finnick erwähnt - alle scheinen wohlbekannte Bewohner des Kapitols zu sein -,
doch durch das Geplapper meines Vorbereitungsteams weiß ich, wie viel
Aufmerksamkeit bereits der kleinste Fauxpas erregen kann. Wenn man sich schon
über einen misslungenen Haarschnitt stundenlang das Maul zerreißen kann, was
werden dann erst Vorwürfe von Inzest, Verrat, Erpressung und Brandstiftung
auslösen? Und während Schock und Schuldzuweisungen das Kapitol bereits
erschüttern, warten die
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