Collins, Suzanne
nicht mal ohne eure Erlaubnis hier sitzen.« Er macht eine
Kopfbewegung zu seinen Wärtern.
»Klar kann er hier sitzen. Wir sind doch alte Freunde«,
sagt Johanna und klopft auf den freien Platz neben ihr. Die Wärter nicken und
Peeta setzt sich. »Im Kapitol hatte Peeta die Zelle neben meiner. Er kennt
meine Schreie und ich kenne seine.«
Annie, die zu Johannas anderer Seite sitzt, hält sich die
Ohren zu und steigt aus der Wirklichkeit aus. Finnick legt einen Arm um sie
und schaut Johanna böse an.
»Was ist? Mein Psychodoktor sagt, ich soll meinen Gedanken
freien Lauf lassen. Das ist Teil der Therapie«, sagt Johanna.
Jetzt ist unsere kleine Gesellschaft nicht mehr so lustig.
Finnick redet Annie leise beruhigend zu, bis sie die Hände langsam von den Ohren
nimmt. Dann bleibt es lange still, während alle so tun, als ob sie essen.
»Annie«, sagt Delly fröhlich, »wusstest du, dass Peeta
eure Hochzeitstorte dekoriert hat? In seiner Heimat hatten seine Eltern eine
Bäckerei und er war für die Glasuren zuständig.«
Annie schaut vorsichtig an Johanna vorbei. »Danke, Peeta.
Die Torte war wunderschön.«
»War mir ein Vergnügen, Annie«, sagt Peeta, und seine
Stimme hat den vertrauten liebenswürdigen Klang, den ich für immer verloren
glaubte. Zwar gilt er nicht mir. Aber immerhin.
»Wenn wir noch einen Spaziergang machen wollen, müssen wir
jetzt los«, sagt Finnick zu Annie. Er stapelt ihr Tablett und seins so, dass er
beide mit einer Hand tragen kann, während er mit der anderen Annie ganz fest
hält. »War schön, dich zu sehen, Peeta.«
»Sei nett zu ihr, Finnick. Sonst könnte ich noch auf die
Idee kommen, sie dir auszuspannen.« Das könnte witzig gemeint sein, wenn er es
nicht so kalt gesagt hätte. Alles daran ist daneben. Das offene Misstrauen
gegenüber Finnick, die Andeutung, dass Peeta ein Auge auf Annie geworfen hat,
dass Annie Finnick verlassen könnte und dass es mich überhaupt nicht gibt.
»Pass bloß auf, Peeta«, sagt Finnick leichthin. »Sonst tut
es mir noch leid, dass ich dich wiederbelebt habe.« Er schaut mich besorgt an
und führt Annie davon.
Als sie weg sind, sagt Delly vorwurfsvoll: »Er hat dir das
Leben gerettet, Peeta. Mehr als einmal.«
»Um ihretwillen«, sagt er mit einer Kopfbewegung zu mir.
»Für die Rebellion. Nicht meinetwegen. Ich bin ihm nichts schuldig.«
Ich dürfte nicht darauf anspringen, aber ich kann es nicht
lassen. »Vielleicht nicht. Aber Mags ist tot und du bist noch hier. Das sollte
doch etwas wert sein.«
»Ja, es gibt vieles, was etwas wert sein sollte, auch wenn
es nicht den Anschein hat, Katniss. Ich habe ein paar Erinnerungen, die ich
nicht einordnen kann, und ich glaube nicht, dass das Kapitol sie angetastet
hat. Viele Nächte im Zug zum Beispiel«, sagt er.
Schon wieder so eine Andeutung. Dass im Zug mehr passiert
sei. Das, was wirklich passiert ist - in diesen Nächten, in denen ich nur
deshalb nicht durchgedreht bin, weil er mich in den Armen hielt -, zählt nicht
mehr. Alles ist Lüge, als hätte ich ihn nur ausgenutzt.
Peeta macht eine kleine Geste mit dem Löffel zu Gale und
mir. »Seid ihr beide jetzt offiziell ein Paar oder reiten sie immer noch auf
der Geschichte von dem tragischen Liebespaar herum?«
»Letzteres«, sagt Johanna.
Peetas Hände zucken so, dass er sie zu Fäusten ballen und
dann auf groteske Weise spreizen muss. Würde er mir jetzt am liebsten an die
Gurgel gehen? Ich spüre, wie Gale neben mir die Muskeln anspannt, und fürchte
eine Auseinandersetzung. Doch Gale sagt: »Ich würde es nicht glauben, hätte ich
es nicht mit eigenen Augen gesehen.«
»Was?«, fragt Peeta.
»Dich«, sagt Gale.
»Das musst du genauer erklären«, sagt Peeta. »Was ist mit
mir?«
»Dass sie dich gegen eine böse Mutation deiner selbst
ausgetauscht haben«, sagt Johanna.
Gale trinkt seine Milch aus. »Bist du fertig?«, fragt er
mich. Ich stehe auf und wir bringen unsere Tabletts weg. An der Tür hält mich
ein alter Mann auf, weil ich das Brot immer noch fest in der Hand halte.
Irgendetwas an meinem Gesichtsausdruck, vielleicht auch die Tatsache, dass ich
keine Anstalten mache, es zu verbergen, lässt ihn nachsichtig sein. Ich darf
mir das Brot in den Mund stopfen und weitergehen. Erst als wir schon fast bei
unserer Wohneinheit angekommen sind, sagt Gale wieder etwas. »Damit hatte ich
nicht gerechnet.«
»Ich hab dir doch gesagt, dass er mich hasst«, sage ich.
»Aber die Art, wie er dich hasst. Die ist mir so vertraut.
So ging
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