Collins, Suzanne
Stattdessen gehe ich
über den Flur und nehme eine der großen weißen Kompressen, die ich aus 12 mitgebracht
habe. Quadratisch, reißfest, genau das, was ich brauche.
Im Wald suche ich eine Kiefer und streife mehrere Handvoll
Nadeln von den Zweigen. Nachdem ich einen ordentlichen Haufen auf der Kompresse
gesammelt habe, hebe ich sie an den Seiten hoch, verdrehe die Ecken miteinander
und binde sie mit einer Ranke zusammen, sodass ich ein apfelgroßes Bündel habe.
An der Tür des Krankenzimmers bleibe ich einen Augenblick
in der Tür stehen und betrachte Johanna. Mir wird bewusst, dass sie
hauptsächlich durch ihre schroffe Art so aggressiv wirkt. Dahinter verbirgt
sich eine zerbrechliche junge Frau, die mit weit aufgerissenen Augen gegen die
betäubende Wirkung der Medikamente kämpft. Voller Angst davor, was der Schlaf
bringen könnte. Ich gehe zu ihr und reiche ihr das Bündel.
»Was ist das?«, fragt sie heiser. Ihre Haare sind feucht
und stehen über der Stirn wie Stacheln ab.
»Das hab ich für dich gemacht. Etwas, das du in deine
Schublade legen kannst.« Ich lege es ihr in die Hände. »Riech mal.«
Sie hält das Bündel an die Nase und schnuppert vorsichtig.
»Riecht nach zu Hause.« Tränen steigen ihr in die Augen.
»Das hatte ich gehofft. Wo du doch aus 7 stammst«, sage
ich. »Weißt du noch, als wir uns zum ersten Mal gesehen haben? Da warst du ein
Baum. Jedenfalls für kurze Zeit.«
Plötzlich packt sie mit eisernem Griff mein Handgelenk.
»Katniss, du musst ihn töten.«
»Keine Sorge.« Ich widerstehe dem Impuls, mich zu befreien.
»Schwör es. Bei etwas, das dir wichtig ist«, sagt sie.
»Ich schwöre es. Bei meinem Leben.« Doch sie lässt meinen
Arm nicht los.
»Beim Leben deiner Familie«, verlangt sie.
»Beim Leben meiner Familie«, sage ich. Von meinem Überlebenswillen
ist sie wohl nicht richtig überzeugt. Jetzt lässt sie mich los und ich reibe
mir das Handgelenk. »Was glaubst du denn, weshalb ich da unbedingt hinwill, du
Dummchen?«
Da lächelt sie sogar ein bisschen. »Ich musste es einfach
hören.« Sie drückt sich das Bündel mit Kiefernnadeln an die Nase und schließt
die Augen.
Die restlichen Tage vergehen wie im Flug. Nach einem
kurzen morgendlichen Aufwärmprogramm verbringe ich den ganzen Tag mit meiner
Gruppe auf dem Schießplatz. Meistens übe ich mit dem Gewehr, doch eine Stunde
am Tag ist für das Training mit den Spezialwaffen vorgesehen. Das heißt, ich
kann mit meinem Spotttölpelbogen üben und Gale mit seinem schweren, für
militärische Zwecke umfunktionierten Bogen. Der Dreizack, den Beetee für
Finnick entwickelt hat, besitzt zahlreiche Sonderfunktionen, aber das Beste
ist, dass Finnick ihn werfen und wieder zurückholen kann, indem er auf einen
Knopf an einer Metallmanschette drückt, die er am Handgelenk trägt.
Manchmal schießen wir auf Friedenswächter-Puppen, um uns
mit den Schwächen ihrer Schutzausrüstung vertraut zu machen. Mit den wunden
Punkten sozusagen. Trifft man ungeschützte Haut, spritzt das unechte Blut nur
so. Unsere Puppen sind rot getränkt.
Es ist beruhigend zu sehen, wie treffsicher alle aus unserer
Gruppe sind. Außer Finnick und Gale gehören noch fünf Soldaten aus 13 dazu.
Jackson, eine Frau mittleren Alters und Boggs' Stellvertreterin, wirkt etwas
schwerfällig, trifft jedoch Ziele, die wir anderen ohne Zielfernrohr nicht
einmal sehen. Sie ist weitsichtig, wie sie sagt. Dann sind da die Schwestern
Leeg, beide in den Zwanzigern, die wir Leeg 1 und Leeg 2 nennen. In Uniform
sehen sie sich so ähnlich, dass ich sie nicht auseinanderhalten kann, bis mir
auffällt, dass Leeg 1 eigenartige gelbe Flecken in den Augen hat. Zwei ältere
Männer, Mitchell und Homes, reden nicht viel, können einem jedoch aus fünfzig
Metern Entfernung den Staub von den Schuhen schießen. Ich sehe andere Gruppen,
die auch ziemlich gut sind, und verstehe nicht ganz, warum wir einen
Sonderstatus haben. Bis zu dem Morgen, an dem Plutarch zu uns kommt.
»Gruppe vier-fünf-eins, ihr seid für einen Sonderauftrag
ausgewählt worden«, sagt er. Ich beiße mir auf die Lippe, in der verrückten
Hoffnung, dass es der Auftrag ist, Snow zu töten. »Wir haben jede Menge
Scharfschützen, Kamerateams dagegen sind recht knapp. Deshalb haben wir euch
acht dazu auserkoren, unser Star-Trupp zu sein. Ihr werdet die Gesichter auf
dem Bildschirm sein, die den Einmarsch begleiten.«
Enttäuschung, Schock und schließlich Wut machen sich in
der Gruppe breit. »Soll das
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