Colombian Powder
lag sie mehr oder weniger teilnahmslos unter der rauen Decke und stand nur auf, um die Toilette aufzusuchen oder winzige Happen der fetten Gefängniskost hinunterzuwürgen.
Sie räusperte sich. »Ich habe doch gar nichts in dieser Richtung unternommen.« Um die Schrecken ringsum auszublenden, hatte Nina ihre Wahrnehmung mit jedem Tag weiter gedrosselt.
»Sind Sie etwa mein Pflichtverteidiger?«
Herr Brandt lächelte bescheiden. »Nun, nicht ganz. Marco Winter hat mich angerufen. Eigentlich ist mein Terminkalender voll, aber ich mache in Ihrem Fall eine Ausnahme und übernehme das Mandat.«
Nina musterte den Mann vor ihr kritisch. Irgendwie kam er ihr bekannt vor.
Er redete weiter, legte dabei seinen Aktenkoffer auf den Tisch und entnahm ihm eine Visitenkarte.
»Die Verhandlung findet im Landgericht Moabit statt.«
»Wann?« Hoffnung keimte in Nina auf.
»Wann? Ich weiß es nicht. Jetzt kommt erst einmal die Anklageschrift, dann muss die Rechtsmittelfrist verstreichen, und anschließend wird der Vorsitzende den Termin für das Hauptverfahren festsetzen. Das dauerte alles seine Zeit.«
Richard Brandt blieb lange bei ihr und ließ sich jede Einzelheit schildern, vom ersten Kontakt zu Ramon bis zum Ende der Kreuzfahrt.
»Kommissar Winter?«, fragte er ungläubig, als Nina ihm von ihrer Affäre erzählte. Lachend lehnte er sich zurück. »Ich fasse es nicht. Ausgerechnet Marco Winter!«
»Was meinen Sie damit?« Augenblicklich stieg Ärger in Nina auf. Er sollte es wagen, nur ein schlechtes Wort über Marco zu verlieren!
»Was wissen Sie denn von ihm?« fragte Brandt interessiert.
Als sie nicht gleich antwortete, redete er einfach weiter. »Von seinen Kollegen wird er Mister Perfect genannt. Und das zu Recht. Er wird Johann Kümmler einmal ein würdiger Nachfolger sein.« Brandt schüttelte immer noch staunend den Kopf. »Wissen Sie, dass er es in weniger als drei Jahren vom Drogenfahnder zum Stellvertreter der gesamten Abteilung geschafft hat? Sie müssen schon etwas ganz Besonderes sein, Frau von Sonnenberg, dass er seine Prinzipien einfach über Bord geworfen hat.«
Nina konnte ihren Verteidiger nur sprachlos anstarren. In den letzten Wochen musste sie ihr Bild von Marco ständig korrigieren, und mit jedem Mal wurde es liebenswerter.
Nach dem Gespräch führte eine Schließerin Nina in ihre Zelle zurück.
»Sie können von Glück reden, wenn der Brandt Sie vertritt«, meinte die Beamtin anerkennend. »Darf ich fragen, was er dafür nimmt?«
Nina irritierte diese Frage. »Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Er hat darüber kein Wort verloren.«
»Was?« Die Beamtin lachte ungläubig auf. »Wer bezahlt ihn dann?«
Bevor Nina antworten konnte, redete die andere schon weiter.
»Richard Brandt ist zurzeit der Mann . Normalerweise vertritt er nur größere Kaliber, wenn ich das so sagen darf. Vor allem solche mit gesundem finanziellem Hintergrund. Kennen Sie sein Gesicht nicht aus der Presse?«
Doch Nina hörte schon gar nicht mehr richtig zu. Sobald die Zellentür hinter ihr ins Schloss fiel, ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Diesmal waren es nicht ausnahmslos Verzweiflungstränen. Marco hatte sein Versprechen gehalten, und das zählte im Moment mehr als alle Gefängnismauern der Welt.
EPILOG
Sechs Uhr: Wecken, Frühstück, Bewegung im Freien - heißt 45 Minuten im Kreis laufen - Mittagessen, Abendessen, Rapport, Licht aus.
Einmal wöchentlich Einkauf in der Kantine, zweimal die Woche duschen. Man wird haftgewohnt, soll heißen, diese Monotonie wird zur Normalität. Da sind Einlagen wie die Überreichung der Anklageschrift, eine Vernehmung oder gar eine Gerichtsverhandlung regelrechte Highlights.
All dies liegt hinter mir, als mich die Beamtin den Gang hinunter führt. Das Ende kann ich durch den Tränenschleier nicht erkennen, aber ich weiß, was dort auf mich wartet.
Meine Beine zittern so, dass ich die paar Stufen vor dem Gerichtssaal kaum schaffe. Meine Begleiterin stützt mich in der Annahme, mein Gleichgewichtssinn leide unter den am Rücken gefesselten Händen. Dabei bin ich die stählerne Acht mittlerweile gewohnt wie ein Neunzigjähriger seine Zahnprothese. Es ist die Aufregung, endlich aus der Zelle zu kommen, aber auch die nackte Panik vor der Verhandlung. Ich zittere aber von allem vor dem Moment, in dem ich Marco begegnen werde.
Sind seine Gefühle für mich noch immer die gleichen, oder haben die Wochen des Getrenntseins etwas verändert? Schließlich ist Marco wieder in sein altes
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