Colombian Powder
gaben, und genoss die Aussicht auf die vielen bunten Boote.
Ein paar Straßen weiter stieß sie auf einen abgesperrten Parkplatz, auf dem gerade ein Wochenmarkt stattfand. Dicht an dicht drängten sich Verkaufsstände mit Früchten, Gewürzen, Textilien und Schnitzereien. Nina kaufte hier und dort eine Kleinigkeit und lernte schnell zu handeln. An einem Stand mit Spiegeln in geschnitzten Rahmen blieb sie stehen und musterte sich in einem lebensgroßen Exemplar. Sie fand, dass sie besser aussah als noch vor ein paar Tagen. Ihr Gesicht war zart gebräunt und die Locken, die ihr in kessen Strähnen in die Stirn fielen, durch die Sonne gebleicht. Sie drehte sich ein wenig hin und her und war wie immer stolz auf ihre Figur. Das blau-weiß geringelte Sommerkleid passte ihr wie angegossen und unterstrich dezent ihre Formen. Nein, sie musste sich wirklich nicht vor der Welt verstecken. Nina hätte sich ohrfeigen können, dass sie schon wieder nur ein Gedanke beherrschte. Was war es nur, das Marco an ihr nicht gefiel?
Erschöpft ließ sie sich schließlich in einem Café nieder und beobachtete das geschäftige Markttreiben. Am Nebentisch turtelte ein Pärchen verliebt miteinander, ebenfalls Touristen, und beäugte nebenbei einträchtig die soeben erworbenen Souvenirs. Glücklich legte die Frau ihre Arme um den Hals des Mannes und schien ihm Zärtlichkeiten ins Ohr zu flüstern.
Nina spürte einen Stich in der Brust. Was machte er in diesem Moment? War er etwa wieder mit Eggerth unterwegs? Nina konnte sich nach wie vor nicht erklären, warum Marco sich ausgerechnet mit einem solchen Mann umgab. Der Kerl war ein Ekelpaket, wie man es nicht besser konstruieren könnte. Loriot hätte seine Freude daran gehabt. Sie hoffte, dass sich Jens in seiner Beobachtung schlicht getäuscht hatte.
Gedankenverloren rührte sie in ihrer Kaffeetasse herum. Sie wusste so wenig von Marco, dabei interessierte sie jedes Detail seines Lebens. Was er fühlte, was er dachte, wie gerne hätte sie das gewusst. Was tat er beruflich? Welches waren seine Hobbys? Und vor allem, war er Single oder hatte er eine Beziehung? Und doch war es besser, all dies nicht zu wissen. Es würde ihr die Vollendung ihres Auftrags nur noch schwerer machen. Außerdem schien Marco an ihrem Leben auch nicht überaus interessiert zu sein. In ihren ganzen Gesprächen hatte er ihr kaum persönliche Fragen gestellt. Eigentlich sollte Nina froh darüber sein, denn so musste sie ihn wenigstens nicht anlügen. Insgeheim wünschte sie es sich jedoch anders.
Schon früh kehrte sie wieder auf das Schiff zurück. Für die große Silvestergala am Abend wollte sie sich entsprechend vorbereiten. In ihrer Kabine nahm sie das Kleid vom Bügel, das sich Beate noch in Berlin extra für die Silvesterfeier gekauft hatte. Da sie beide die gleiche Konfektionsgröße trugen, würde es nun eben Nina sein, die das schneeweiße, trägerlose Seidenkleid einweihte.
Als sich die Aufzugtüren öffneten, strich Nina ein letztes Mal ihr Kleid glatt und betrat erhobenen Hauptes das Pool-Deck. Nach wenigen Schritten ertönte hinter ihr ein lauter Pfiff, und Nina blickte in die roten, grinsenden Gesichter der Kegelbrüder. Sie wollte etwas darauf erwidern, aber ihr Blick wurde von der atemberaubenden Dekoration des Decks gefesselt. Die Bühne zwischen den Plastikfelsen war mit schwarz lackierten Holzbohlen verlängert worden und bot einer Steelband Platz, die sich gerade für ihren Auftritt bereit machte. Die Reihen von Sonnenliegen waren verschwunden, stattdessen stand auf der einen Seite ein langes Buffet. Überall wehten Piratenflaggen im Wind, und mannshohe Fackeln entlang der Reling spendeten romantisches Licht. Ausgefallen waren auch die Kostüme der Crew. Die Kellner waren durchwegs in altmodische Livreen gekleidet, während die Mitglieder der Animation sich als Piraten maskiert unter die Passagiere mischten.
Nina entdeckte Marco sofort. Er saß an einem der Tische an der Reling in Gesellschaft der vollzählig versammelten Funkenmariechen. Er schien sich blendend zu amüsieren, legte immer wieder den Kopf zurück und lachte schallend. Ninas Herz setzte einen Schlag aus, und sie spielte mit dem Gedanken, sich die Stunden bis Mitternacht in der Kabine zu verkriechen. Dann aber schüttelte sie trotzig die Haare zurück und bahnte sich einen Weg zur Bar. Sie wollte den Beginn des neuen Jahres gebührend feiern und würde sich den Abend durch nichts verderben lassen.
»Orangensaft bitte«,
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