Colorado Kid
und wieder in die Brusttasche des weißen Hemdes stecken. Dann ging er zurück zu Nancy, die in ihrer Trainingsjacke mit dem BCHS-Aufdruck dastand, wahrscheinlich die Arme um sich geschlungen hatte und von einem Bein aufs andere hüpfte, weil ihr in der knappen kurzen Hose kalt war. Obwohl natürlich nicht die Kälte schuld war, dass sie fror.
Jedenfalls war ihr nicht mehr lange kalt, denn die beiden liefen runter zur Bücherei, und ich wette, wenn man die Zeit gestoppt hätte, wäre es ein Rekord für die halbe Meile gewesen oder wenigstens nah dran. Nancy hatte mehrere Vierteldollarmünzen in einem kleinen Portemonnaie in ihrer Trainingsjacke. Sie rief George Wournos an, der sich gerade anzog – er war der Inhaber von Western Auto, da halten die Kirchenfrauen jetzt die Basare ab.«
Da Stephanie in ihrer Kolumne über mehrere Basare berichtet hatte, nickte sie.
»George fragte, ob der Mann mit Sicherheit tot sei, und Nancy bejahte. Dann bat er sie, ihm Johnny zu geben, und er stellte Johnny dieselbe Frage. Johnny bejahte ebenfalls. Er erklärte, er habe den Mann geschüttelt, er sei steif wie ein Brett. Er schilderte George, wie der Mann zur Seite gekippt sei, die Zigaretten aus der Tasche gerutscht seien und er sie wieder zurückgesteckt hätte. Johnny glaubte, George würde ihm die Hölle heiß machen, aber es passierte nichts. Niemand rügte ihn deswegen. Nicht wie bei den Krimis im Fernsehen, was?«
»Bis jetzt noch nicht«, erwiderte Stephanie und dachte, dass die Geschichte sie doch ein klein bisschen an eine Folge von Mord ist ihr Hobby erinnerte, die sie mal gesehen hatte. Doch angesichts des Gesprächs, das dieser Geschichte vorausgegangen war, nahm sie nicht an, dass Angela Lansbury auftauchen und das Rätsel lösen würde … obwohl irgendjemand irgendetwas herausgefunden haben musste. Immerhin wussten die Männer ja, dass der Tote aus Colorado stammte.
»George sagte Johnny, er und Nancy sollten schnell zum Strand zurücklaufen und dort auf ihn warten«, fuhr Dave fort.
»Er sagte, sie sollten aufpassen, dass niemand näher herankäme.
Johnny erklärte sich einverstanden. George sagte: ›Wenn ihr die Fähre um halb acht verpasst, John, schreibe ich dir und deiner Freundin eine Entschuldigung.‹ Johnny meinte, das wäre das Letzte, über das er sich im Moment Gedanken machen würde. Dann kehrte er mit Nancy Arnault zurück an den Hammock Beach, jetzt trabten sie gemächlich, anstatt zu rennen.«
Das konnte Stephanie verstehen. Vom Hammock Beach nach Moosie Village ging es bergab. Der Rückweg war anstrengender, zumal jetzt nicht mehr so viel Adrenalin durch ihr Blut rauschte.
»In der Zwischenzeit«, erklärte Vince, »rief George Wournos Doc Robinson in der Beach Lane an.« Er hielt inne, lächelte wie in Gedanken versunken – oder vielleicht auch um des Effektes willen. »Dann sagte er mir Bescheid.«
6
»Ein Mordopfer liegt am einzigen öffentlichen Strand der Insel und der örtliche Gesetzesvertreter ruft den Herausgeber der örtlichen Zeitung an?«, fragte Stephanie. »Mensch, das ist wirklich was anderes als in Mord ist ihr Hobby!«
»Das Leben an der Küste von Maine ist selten so wie in Mord ist ihr Hobby«, sagte Dave trocken, »und damals lief es hier nicht anders als heute, Steffi, besonders wenn die Urlauber fort sind und nur noch wir da sind – die Einheimischen, die alle im selben Boot sitzen. Das ist nichts Romantisches, nur irgendwie … keine Ahnung, nenn es Sonnenscheinpolitik, wie in Korea. Wenn alle wissen, was es zu wissen gibt, braucht sich niemand unnütz das Maul zu zerreißen. Allerdings: Mordopfer! Gesetzesvertreter! Du preschst aber ganz schön weit vor, was?«
»Daraus kannst du ihr keinen Vorwurf machen«, entgegnete Vince. »Wir haben ihr den Floh selbst ins Ohr gesetzt, als wir ihr von dem vergifteten Eiskaffee drüben in Tashmore erzählten. Steffi, Chris Robinson hat zwei meiner Kinder auf die Welt geholt. Meine zweite Frau Ariette, die ich sechs Jahre nach Joannes Tod geheiratet habe, war gut mit den Robinsons befreundet, war in der Schule sogar mit Chris’ Bruder Henry zusammen. Es ist so, wie Dave sagt, aber es war mehr als rein geschäftlich.«
Er stellte sein Glas Cola (das er »meine Droge« nannte) auf der Brüstung ab, zog den Kopf ein und breitete die Hände aus. Stephanie fand die Geste charmant und entwaffnend – ich habe nichts zu verbergen, besagte sie. »Wir hocken hier draußen ziemlich dicht beisammen. So war es schon immer,
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