Colorado Saga
kamen, befand sich auch Rufus, der in seiner stürmischen Neugier einen Fehler beging, den er noch einmal bitter bereuen sollte. Das neugeborene Kalb schien nämlich Rufus' Geruch zu bevorzugen und rieb sekundenlang den kleinen Kopf an seinem Bein. Zwar merkte das Bisonkalb instinktiv, daß es dort keine Milch finden würde, und kehrte sogleich zu seiner Mutter zurück, aber das Unglück war geschehen.
Denn jetzt begannen jene Tage, die für das ganze Leben dieses kleinen Bisons bestimmend sein sollten. Innerhalb einer sehr kurzen Periode mußte er sich das Bild seiner Mutter einprägen, ihre Witterung, das Gefühl ihres Körpers, den Geschmack ihrer Milch, ihr Aussehen, den Klang ihres Rufes. Denn wenn er diese unauslöschliche und lebenswichtige Verbindung nicht aufnahm, konnte es sein, daß er, wenn die Herde weiterzog, allein blieb und sich in dem erstickenden Staub verirrte. Und dann hätte er höchstens noch ein paar Tage zu leben, denn die Wölfe und die Aasgeier, die seine Notlage erkannten, würden ihn innerhalb kürzester Zeit zerreißen.
Deswegen achtete die Mutterkuh sorgfältig darauf, daß er sie mit der Nase abtastete, daß er ihre Milch probierte, ihren Urin roch und ihren Ruf kennenlernte. Ununterbrochen kümmerte sie sich um ihn, und wenn er sich unter die anderen, ebenfalls um diese Zeit geborenen Kälber mischte versuchte sie ihn zu lehren, ihrem persönlichen Ruf zu gehorchen.
Aber das Kalb war zu neugierig. Eigenwillig lief es von einem Erwachsenen zum anderen und unterließ es, sich einen unauslöschlichen Eindruck von seiner Mutter zu machen. Verzweifelt versuchte sie, diese Unterlassungssünde zu korrigieren, aber ihr Bullenbaby war nicht von seinen Ausflügen abzuhalten.
Eine seiner stärksten Erinnerungen war der Geruch des Bullen Rufus, und so versuchte es sich mit der Zeit immer mehr an den Bullen und immer weniger an seine Mutter anzuschließen, ja es versuchte sogar, von Rufus Milch zu bekommen. Das wiederum irritierte den Bullen, der das verwirrte Kalb einfach beiseite stieß. Der kleine Bursche überschlug sich im Staub, rappelte sich verdattert auf und lief einem anderen Bullen nach.
Um diese Zeit erschien eine ziemlich große Herde fremder Bisons von Norden her auf dem Weideplatz, und es entstand Unruhe unter den Tieren, so daß das Bullenkalb irgendwo an der Peripherie des Gedränges landete. Schon das Treffen hatte die beiden Herden in Erregung versetzt, jetzt aber entdeckten sie im Westen auch noch eine unerklärliche Bewegung, die an den Flanken eine überstürzte Fluchtbewegung auslöste. Diese teilte sich umgehend der Masse der Tiere mit, und beide Herden begannen eine Stampede. Diejenigen Kälber, die sich das Bild ihrer Mutter genau gemerkt hatten, verhielten sich vorbildlich. Ganz gleich, wie schnell ihre Mütter liefen, ganz gleich, wie geschickt sie Haken schlugen - die Kälber hielten mit ihnen Schritt, die winzige Nase fest an die Flanke der Mutter gepreßt.
Nur jenes schöne, schwarze Bullenkalb war nicht entsprechend erzogen worden. Es hatte weder eine Ahnung, wo seine Mutter war, noch hörte es in dem Chaos ihren Ruf. Es fiel zurück, weit zurück - und stieß dann einen Freudenschrei aus, denn unverhofft war ihm eine vertraute Witterung in die Nase gestiegen. Aber es war nicht seine Mutter, es war Rufus, der hinterhertrabte, weil er sich von dem saftigen Gras am Fluß hatte verlocken lassen. Der Bulle dachte gar nicht daran, sich um das hilflose Kalb zu kümmern, und rannte vorbei, ohne es zu beachten. Das Kalb jedoch, das jetzt eine noch kräftigere Dosis der vertrauten Witterung mitbekam, paßte sich seinem Tempo an und hielt sich dicht neben ihm. Darüber ärgerte sich Rufus, und er versuchte im Lauf nach dem lästigen Kalb zu treten, aber es half nichts, das Bullenbaby ließ sich nicht abweisen. Mit dem Gefühl beruhigender Sicherheit, wie andere Kälber es bei ihrer Mutter empfinden, blieb es im Windschatten des galoppierenden Bullen.
Jetzt aber entdeckten die Wölfe, die stets um eine Herde herumlungern, das kleine Kalb. Die Chance, daß sie es reißen konnten, war günstig, da der ältere Bulle ständig versuchte, es zu verscheuchen. Also schoben sie sich näher an das ungleiche Paar und machten Anstalten, sich zwischen das Kalb und den erwachsenen Bullen zu drängen.
Aber das gelang ihnen nicht. Sobald Rufus ihre Absicht erkannte, war er auf einmal völlig verändert. Denn er trug die Verantwortung für den Schutz der Kälber, auch wenn sie lästig
Weitere Kostenlose Bücher