Colorado Saga
dem braunen Bullen mit dem dichten Haarbusch über den Augen. Jeder von ihnen wurde wiederholt von jüngeren Bullen herausgefordert, jeder verteidigte erfolgreich seine Hoheitsrechte, und es schien, als sollte in diesem Sommer kein anderer zur Macht gelangen.
Als sich die Paarungszeit jedoch ihrem Ende näherte, wurde Rufus von einer Kampflust gepackt, wie er sie bis dahin noch niemals erlebt hatte. Sooft er auch gegen die Pappeln anrannte, sooft er sich auch ausgiebig suhlte - nichts konnte ihm Befriedigung verschaffen. Also suchte er eines Morgens eine alte Suhle auf, die sich zuvor schon einmal als brauchbar erwiesen hatte. Es war der Bau einer Familie von Präriehunden, in dem diese kleinen, eichhörnchenähnlichen Tiere viel Sand angehäuft hatten. Dort warf er sich, ohne auf die Proteste der kleinen Tiere zu achten, deren Wohnungen er zerstörte, unruhig auf den weichen Untergrund. Er suhlte sich eine lange Zeit - so lange, bis sein ganzes Fell mit Staub durchsetzt war. Dann stand er auf, urinierte ausgiebig und warf sich mit einer Heftigkeit, wie er sie dabei noch nie an den Tag gelegt hatte, in den Schlamm. Als er sich diesmal aus seiner Suhle erhob, war er von Kopf bis Fuß mit Schlamm beschmiert und strömte einen durchdringenden Geruch aus.
Mit blinder Entschlossenheit kehrte er zur Herde zurück und suchte finster nach einem Bullen, der sich diesen Tag zu Liebesspielen ausgesucht hatte. Zufällig war es der häßliche braune. Er umwarb eine schöne, hoch in der Brunfthitze stehende Kuh, und wäre Rufus nicht gekommen, hätten die beiden sich gepaart. Diesmal verlor Rufus keine Zeit damit, dem Feind lange in die Augen zu starren. Er hatte kaum die Szene betreten, da senkte er auch schon den Kopf und wollte den braunen Bullen angreifen. Doch seine Taktik blieb wirkungslos, weil jenes kleine Bullenkalb, das sich ihn zur Adoptivmutter erwählt hatte, an ihm, als er vorbeiging, die Witterung seines uringetränkten Körpers aufgenommen hatte und nun herbeigaloppiert kam, um sich von ihm seine Milch zu holen. Dadurch wurde der Angriff unterbrochen, und der braune Bulle konnte zuerst zustoßen. Er brachte Rufus eine tiefe Schulterwunde bei, aus der sofort das Blut zu schießen begann.
Dies versetzte Rufus in Wut, die er an seinem Möchtegern-Sohn ausließ. Mit einem wuchtigen Emporwerfen des Kopfes packte er das hartnäckige Kalb und schleuderte es hoch in die Luft. Ohne innezuhalten und zu warten, wie und wo es zu Boden fiel, stürzte er sich so hemmungslos auf den braunen Bullen, daß sein Rammstoß den Gegner unvorbereitet traf. Es gab einen heftigen Zusammenprall, und der braune Bulle wich etwas zurück.
Ohne Zögern setzte Rufus ihm nach und stieß mit seinen kräftigen Hörnern zu, bis er die rechte Hüfte des Braunen traf. Mit einem reißenden Geräusch sein Horn an der Hüfte entlangziehend, fügte er dem Feind eine schwere Verletzung zu.
Jetzt hatte er Mut gefaßt, und schon war er wieder über dem Bullen, griff ihn von allen Seiten scheinbar gleichzeitig an, stieß und stach und bedrängte ihn schwer. Mit der Zeit machte sich die Anstrengung bei dem Braunen bemerkbar. Immer weiter fiel er zurück und versuchte noch einen letzten Gegenangriff, der aber mißlang. In der Erkenntnis, daß seine Niederlage nicht mehr abzuwenden war, zog er sich zurück und räumte das Feld. Unter triumphierendem Gebrüll übernahm Rufus die geduldig wartende Kuh und begann ihr das Fell zu lecken. Er wollte sie eben in das Pappelgehölz führen, da kehrte das kleine Bullenkalb, angelockt von dem kräftigen Geruch seiner auserwählten »Mutter«, von seiner Flucht zurück, schob sich neben Rufus und versuchte wieder zu trinken; diesmal jedoch stieß ihn der siegreiche Bulle nur sanft mit der Nase beiseite. Vorläufig hatte er andere Dinge im Kopf.
Im Verlauf des restlichen Jahres sah Rufus gelegentlich den braunen Bullen um die Herde herumstreichen; ein verbittertes, altes Tier, dessen Platz endgültig von einem anderen eingenommen wurde. Nie wieder würde der Alte eine Kuh bespringen, denn sollte er diesen Versuch wagen, würden ihn die jüngeren Bullen, die sich seine Niederlage durch Rufus gemerkt hatten, sofort herausfordern.
Inzwischen war es Herbst geworden, und die Leitkuh spürte, daß es Zeit für ihre Schützlinge war, sich mit einer größeren Herde zusammenzutun. Also führte sie sie nach Norden. Unterwegs vereinten sie sich mit größeren und dann mit noch größeren Herden. Von allen Seiten schienen die
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