Colorado Saga
Menschen, wie wir es sind.«
Doch als der Morgen graute und sie die endlose Ebene westlich von Julesburg sah, die ungeheuren Weiten, die sich in graubrauner Einsamkeit, baum- und schattenlos am Horizont verloren, wurde sie sich der gewaltigen Tragweite ihres Abenteuers bewußt und begann so zu zittern, daß Vesta sie an den Händen nehmen und beruhigen mußte.
»Earl!« rief Vesta. »Komm zu mir!« und als Grebe sich neben seine Frau setzte, meinte er: »Sie ist nur nervös.« Doch Vesta schätzte die Situation richtiger ein. »Schwanger ist sie«, sagte sie ohne jedes Getue, und Alice mußte zugeben, daß sie es schon seit einigen Wochen wußte, aber niemandem davon erzählt hatte, um die Abreise nicht zu gefährden.
»Es ist ein gutes Omen«, sagte Earl. »So wie es in der Bibel heißt: >Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar, mehret euch, füllet die Erde, nehmet sie in Besitz.< Das waren die ersten Worte, die Gott zu den Menschen sprach.« Er saß neben Alice, hielt ihre Hände in den seinen und blickte auf das einsame Land hinaus. »Wir werden uns mehren«, sagte er, »und wir werden das Land in Besitz nehmen.«
Mervin Wendell erhob sich schon früh an jenem Morgen. In den Jahren, da er bewässertes Ackerland verkaufte, hatte er gelernt, auf dem Bahnhof zu sein, wenn Siedler erwartet wurden. Er hatte herausgefunden, daß sie in ihren ersten Stunden in Centennial in mehr als einer Hinsicht seiner stützenden Hand bedurften, und wenn er sie früh genug unter Vertrag nahm, konnte nichts mehr passieren. Jetzt, wo er versuchte, Trockenböden zu verhökern, war das noch wichtiger. Er rasierte sich im Schein der neuen elektrischen Beleuchtung, die jetzt seinen herrschaftlichen Wohnsitz zierte, und besprühte sich dann mit echtem französischem Kölnischwasser, das er sich aus Boston schicken ließ. Mit der Schere seiner Frau stutzte er sich die Haare rund um die Ohren und legte die Kleidung an, die einem Mann im Westen zustand: Hosen aus schräg geripptem
Kammgarn, mit Silberstickerei verzierte Stiefel, blaßblaues Hemd mit schmaler Krawatte und einen breitkrempigen Hut. Er betrachtete sich im Spiegel und stellte befriedigt fest, daß seine Figur immer noch tadellos und sein Kinn immer noch fest und achtunggebietend war.
Der Negerkoch wartete schon mit Mervins Frühstück: Sauerteigpfannkuchen, zwei Eier, drei Streifen Speck und eine Kanne heißen Kaffee ohne Sahne und ohne Zucker.
Nachdem er gegessen hatte, ging er nach oben, um sich mit einem Kuß von seiner Frau zu verabschieden. »Ich fahre die erste Ladung Heimstättensiedler nach Line Camp hinauf«, teilte er ihr mit, »und werde erst spät zurück sein. Da wird jeder über sein Land marschieren wollen, und das kostet Zeit.«
Er ging wieder hinunter und stieg in seinen neuen sechssitzigen Buick, den er zunächst ein paar Minuten auf Standgas laufen ließ. Das gedämpfte Surren des Motors machte ihm Freude. Langsam kuppelte er ein und ließ die Kupplung dann so geschickt aus, daß das
Getriebe lautlos ineinandergriff. Mit einem mäßigen Druck auf die Hupe setzte er die Nachbarschaft gebührend, aber nicht aufdringlich davon in Kenntnis, daß Centennials führender Bürger sich nun anschickte, auf die Eighth Avenue hinauszufahren.
An diesem Morgen sollte er eine häßliche Überraschung erleben, denn als er zum Bahnhof kam, fand er dort bereits Jim Lloyd und den alten Brumbauch und mußte erfahren, daß sie die Absicht hatten, mit den neuen Siedlern zu sprechen, sobald sie aus dem Zug gestiegen waren.
»Worüber?« fragte er sichtlich erschrocken.
»Über das Land«, antwortete Brumbauch kurz angebunden.
»Was ist damit? Sie erwerben es ganz legal als Heimstätte. Ich verkaufe ihnen angrenzendes Land, das mir gehört. Was habt ihr daran auszusetzen?«
»Wie es verwendet werden soll«, entgegnete Brumbauch ungeduldig. »Haben Sie denn kein Gewissen?«
»Es ist gutes Land für Weizen«, erwiderte Wendell kampflustig und funkelte Brumbauch an. »Es ist eine bewiesene Tatsache, daß man da draußen Weizen anbauen kann.«
»Im ersten Jahr«, sagte Brumbauch verächtlich, »wenn die Rasendecke aufgebrochen ist, wird jeder Boden einen Ertrag liefern. Das wissen Sie doch.«
»Die Jahre danach werden diesen Menschen das Herz brechen«, nahm Jim Lloyd das Wort. »Was werden sie denn tun, wenn diese verheerenden Winde aus den Rockies kommen? Sie haben doch gesehen, was sie sogar auf Rieselfeldern anrichten. Wie würden sie erst Trockenbodenernten
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