Colours of Love - Verloren: Roman (German Edition)
kaum an etwas anderes denken als an seine warme Hand, die meine hält, während wir in den anderen Teil des Museums schlendern, der sich mit dem Leben und Sterben von John Keats befasst. Deshalb lasse ich ihn wieder los, als wir dort sind, und versuche, mich auf die Ausstellung zu konzentrieren, die ich schon so lange sehen wollte.
Der Name Joseph Severn taucht auch hier sehr häufig auf, denn Severn war es, der seinen todkranken Freund 1820 nach Rom begleitete, in der Hoffnung, dass das warme Klima ihm helfen würde, gesund zu werden. Und dessen Briefe, von denen viele in den Schaukästen liegen, Keats’ Leiden und schließlich seinen Tod eindrucksvoll dokumentieren.
Jedes Dokument und jedes Bild studiere ich, und Matteo scheint zu respektieren, dass mich das interessiert, denn er folgt mir schweigend und lenkt mich nicht mehr ab. Die ganze Zeit spüre ich jedoch seinen Blick auf mir – ich bin offenbar sehr viel interessanter als die Exponate, die er wahrscheinlich sowieso alle kennt. Und das macht mich nervöser, als ich mir eingestehen will.
Schließlich stehen wir im kleinsten Raum, ganz hinten – dem Sterbezimmer von Keats. Das Bett, in dem er die letzten Wochen seines Lebens verbrachte, ist hier zu sehen, und auch die Totenmaske, die von ihm angefertigt wurde.
»Es ist so schade«, murmele ich betroffen, ganz in den Anblick der wächsernen Maske versunken.
»Was?« Matteo, der neben mir steht und ebenfalls in den Glaskasten geblickt hat, hebt den Kopf.
»Dass er so früh gestorben ist.« Ich seufze. »Und dass er, der so schön über die Liebe schreiben konnte, seine Geliebte wegen seiner Krankheit verlassen musste.« Ein Gedicht fällt mir ein, dass Keats an seine Fanny geschrieben hat, mit der er nur zwei Jahre verbringen konnte und die in England zurückblieb, als er sterbenskrank nach Rom reiste. »Liebe, die sich erbarmt und die nicht quält, beständige, arglose, offene Liebe, die, makellos, sich keine Maske wählt« , zitiere ich aus dem Gedächtnis. »Ich finde das sehr schön.«
Als Matteo nichts erwidert, drehe ich mich zu ihm um. Er lächelt nicht, sondern runzelt sichtlich irritiert die Stirn.
»Du vergisst das Ende des Gedichts. Da, wo er beschreibt, was passiert, wenn sie seine Liebe nicht aus vollem Herzen erwidert: » Und lebte ich, dein elender Vasall, ich würde doch an meinem Schmerz verderben! Ich könnte meines Daseins Sinn nicht finden, mein Geist, mein Ehrgeiz würden stumpf erblinden! Das klingt für mich definitiv nicht schön.«
Erstaunt starre ich ihn an. Er kann das tatsächlich auch zitieren? Dann muss er sich mit diesem Text ebenso intensiv befasst haben wie ich. Nur dass seine Interpretation eine ganz andere ist als meine – eine, die erschreckend düster ist für jemanden, der so viel und charmant lächelt.
»Er ist doch aber gar nicht davon ausgegangen, dass das passieren würde – er wusste, dass Fanny ihn auch liebt«, widerspreche ich ihm. »Das soll schließlich nur zeigen, wie tief ihre Gefühle füreinander waren.«
Matteo ist nicht überzeugt, schüttelt den Kopf. »Wer weiß, ob sie wirklich bei ihm geblieben wäre. Seine erste Liebe war schließlich immer das Schreiben. Bestimmt hätte sie es irgendwann nur noch gelangweilt, nicht das Wichtigste für ihn zu sein. Und außerdem war er arm und erfolglos – wahrscheinlich wäre ihr sehr bald aufgegangen, was für ein Leben sie an seiner Seite geführt hätte. Er ist nur gestorben, bevor sie diese Entscheidung treffen musste. Sonst hätten wir sicher erlebt, dass ihr all die schönen Worte nichts wert gewesen wären.«
Jetzt bin ich es, die den Kopf schüttelt. »Wie kann jemand, der behauptet, ein John Keats-Fan zu sein, so unglaublich unromantisch denken?«
Ich will ihn damit lediglich aufziehen, doch er lächelt nicht, verzieht nur den Mund, was ziemlich verächtlich aussieht.
»Ich mag eben eher den Teil seines Werkes, in dem es um die Kunst und die Schönheit geht. Aber du nicht, oder, Sophie? Du glaubst an Romantik und an die große Liebe?«
Sein Blick ist plötzlich distanziert und sehr nachdenklich, und ich fühle, wie mir heiß wird, weil es wie ein Vorwurf klingt.
»Nein, tue ich nicht«, stelle ich klar und ärgere mich, dass ich das Thema überhaupt aufgebracht habe. Wenn er mich kennen würde, dann wüsste er, dass ich nicht von mir gesprochen habe. Große Gefühle schätze ich vielleicht in der Literatur, aber keinesfalls in meinem Leben – dafür haben Mums emotionale Eskapaden
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