Colours of Love
ihr, und mir gelingt ein schiefes Lächeln. Das stimmt zwar nicht, ich bin verdammt naiv, wenn es um Männer geht – aber das ist etwas, das ich jetzt wirklich nicht mit meiner neuen Kollegin diskutieren möchte. »Außerdem sehe ich Mr Huntington wahrscheinlich sowieso nicht mehr wieder. Oder kommt er oft hier vorbei?«
Ein Teil von mir hofft es, obwohl ich weiß, wie albern das ist – vor allem nach der Warnung, die ich gerade erhalten habe.
Annie schüttelt den Kopf. »Nein, eigentlich eher selten. Aber er nimmt sonst auch keine Praktikantinnen im Auto mit. Pass einfach auf, mehr sage ich gar nicht.« Der Unterton in ihrer Stimme ist todernst, und ich bin verunsichert. Befürchtet sie, dass Jonathan Huntington Interesse an mir haben könnte? Das ist vollkommen absurd. Und selbst wenn – wieso muss ich dann aufpassen?
Ich will gerade den Mund aufmachen und noch mal nachfragen, wie sie das gemeint hat, doch Annie deutet mit entschlossener Geste auf die Papiere, die auf dem Schreibtisch liegen. Offenbar ist das Thema für sie beendet.
»Deine erste Aufgabe habe ich dir schon hingelegt. Das sind Berichte zu Projekten, über die in nächster Zeit entschieden wird. Lies sie und mach dir ein Bild, dann kannst du an den weiteren Diskussionen teilnehmen. Und nimm das nicht auf die leichte Schulter, denn wir werden dich fragen, welches du für besonders erfolgversprechend hältst und warum.«
»Ist das ein Test?«, frage ich.
Sie lächelt jetzt wieder breit. »Ja, in gewisser Weise schon. Stört dich das?«
»Nein.«
»Gut, es ist nämlich in deinem eigenen Interesse. Wenn wir wissen, wie gut du bist, können wir dich besser einteilen.« Sie sieht auf die Uhr. »Kommst du jetzt erst mal zurecht?« Ich nicke. »Dann lasse ich dich allein. Wenn du Fragen hast, kannst du dich jederzeit an mich wenden. Du weißt ja, wo du mich findest.«
Als sie schon fast aus der Tür ist, halte ich sie noch einmal auf.
»Darf ich das Telefon nachher mal benutzen?«, frage ich und deute auf den Apparat auf meinem Schreibtisch. »Ich habe mir hier in der Nähe eine Wohnung gemietet und müsste den Vermieter anrufen, um zu erfahren, wann und wo ich mir den Schlüssel abholen kann.«
»Natürlich«, sagt Annie. »Wir wollen doch, dass du gut unterkommst.« Als sie die Tür schon fast geschlossen hat, steckt sie noch einmal den Kopf hindurch. »Ist übrigens schön, dass du da bist«, sagt sie, und es klingt so ehrlich, dass mir ganz warm ums Herz wird. Mit neuem Elan wende ich mich den Berichten zu, die ich studieren soll. Das wird ein toller Aufenthalt hier, ich spüre es. Was soll denn jetzt noch schiefgehen?
4
Als ich etwas später von den Papieren und den Notizen aufblicke, die ich mir gemacht habe, stelle ich erstaunt fest, dass es schon fast drei Uhr ist. Ich war so vertieft in die Berichte, dass ich auf die Zeit gar nicht geachtet habe.
Müde reibe ich mir die Augen. Jetzt merke ich den Schlafmangel wirklich, deshalb gehe ich in die Küche, um mir ein stärkendes Getränk zu holen. Annie hat nicht übertrieben, es ist ein sehr modern eingerichteter Raum mit allem Luxus, den man sich wünschen kann. Es gibt einen Teeautomaten und eine dieser sehr hochpreisigen Kaffeemaschinen, bei denen man die Sorten frei wählen kann. Ich überlege einen Moment und entscheide mich dann für einen Tee. Schließlich bin ich in England – also gewöhne ich mich besser schon mal dran.
Ich gehe mit dem Becher zu der Fensterfront und blicke hinaus auf die City of London. Das Gebäude, in dem Huntington Ventures untergebracht ist, gehört zu den Neubauten hier, doch direkt gegenüber steht eines der historischen Gebäude, für die das Zentrum der Stadt berühmt ist. Ich kann nicht sagen, ob es die Börse oder vielleicht die Bank of England ist, aber das werde ich alles noch herausfinden – schließlich ist noch genug Zeit, mir alles in Ruhe anzusehen. Es ist jetzt Anfang Mai, und erst Ende Juli geht mein Flieger zurück nach Chicago – also bleiben mir zwölf Wochen, um diese aufregende Stadt zu erkunden.
Mit einem Lächeln hebe ich den Blick zum Himmel, der jetzt nicht mehr wolkenverhangen ist, wie bei meiner Ankunft, sondern strahlend blau. Hier drinnen läuft die Klimaanlage, aber die Nachmittagssonne, die sich in den Fenstern des Gebäudes gegenüber spiegelt, lässt erahnen, dass es draußen angenehm warm sein muss.
Ich will mich gerade abwenden und zurück in mein Büro gehen, als mein Blick runter auf die Straße fällt, wo in
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