Colours of Love
diesem Moment ein langes schwarzes Auto hält. Ich erkenne die Limousine, in der ich heute schon gefahren bin, und mein Herz macht einen kleinen Hüpfer, als ich einen Augenblick später zwei Männer auf den Gehsteig direkt unter mir treten sehe. Ich erkenne Jonathan Huntington sofort, selbst auf die Entfernung, und der andere muss der Japaner sein, Yuuto Nagako. Sie reden, während sie einsteigen, und einen Augenblick später fährt die Limousine wieder an und fädelt sich in den Verkehr ein. Sie biegt um die Ecke und verschwindet aus meinem Blickfeld.
Da geht er hin, denke ich ein bisschen wehmütig. Jonathan Huntington – der Mann, von dem du die Finger lassen sollst. Ich schnaube leise und schüttele den Kopf. Als wenn er wollen würde, dass ich meine Finger auf ihn lege! Träum weiter, Grace. Oder besser – träum nicht weiter. Wach auf.
Schnell verlasse ich die Küche und gehe über den ruhigen Flur. Weiter vorn stehen zwei der Glastüren auf, aber es ist trotzdem still, überall wird gearbeitet. Obwohl ich mit dem fertig bin, was man mir aufgetragen hat, will ich niemanden stören, deshalb kehre ich in mein Büro zurück, setze mich an den Schreibtisch und suche entschlossen die Nummer des Vermieters heraus, den ich noch anrufen muss.
Die Wohnung, ein kleines Ein-Zimmer-Apartment, befindet sich in Whitechapel, einem Viertel, das gar nicht weit von der City of London entfernt ist, zentral und mit guter Anbindung an das U-Bahn-Netz. So jedenfalls stand es in der Beschreibung. Ich war unglaublich froh, als ich das Angebot im Internet entdeckte, und habe sofort zugeschlagen, denn auch der Preis stimmt. Nicht, dass ich irgendeine Ahnung habe, was das für eine Wohngegend ist und wie weit sie wirklich von meinem aktuellen Arbeitsplatz entfernt ist, aber auf der Karte wirkte es vergleichsweise nah, und die Fotos waren in Ordnung, die Zimmer sahen sauber und halbwegs gepflegt aus. Ich musste dreihundert Pfund Kaution, umgerechnet in Dollar, im Voraus auf das Konto des Vermieters zahlen, aber er hat mir versichert, dass ich die beim Auszug wiederbekomme, sofern nichts in der Wohnung beschädigt ist. Wir hatten einen regen Mailkontakt, und er wirkte sehr nett.
Die Nummer, unter der ich ihn erreichen kann, habe ich mir in meinem kleinen Notizbuch notiert, und tatsächlich hebt schon nach dem zweiten Klingeln jemand ab. Es ist eine Frau.
»Könnte ich mit Mr Scarlett sprechen, bitte?«, sage ich höflich. Für einen Moment herrscht Schweigen in der Leitung.
»Hier gibt es keinen Mr Scarlett. Sie sind falsch verbunden«, informiert mich die Frau.
»Aber …« Das kann doch nicht sein. »Hören Sie, ich bin Grace Lawson. Ich habe die kleine Apartmentwohnung in der Adler Street gemietet, und Mr Scarlett hat mir diese Nummer gegeben, damit ich ihn kontaktieren kann, wenn ich da bin. Ich bin heute aus Amerika angekommen, und ich muss wirklich mit ihm sprechen.«
»Herzchen, ich sagte doch schon, dass es hier keinen Mr Scarlett gibt. So gerne ich Ihnen helfen würde – Sie sind falsch verbunden.«
Das kann definitiv nicht sein. »Aber Sie wohnen in der Adler Street in Whitechapel?«, versuche ich es erneut.
»Ich wohne in Spitalfields«, sagt die Frau sichtlich genervt. »Und eine Adler Street kenne ich nicht.«
Spitalfields liegt direkt neben Whitechapel, das habe ich auf der Karte gesehen. Vielleicht habe ich ja auch nur die Stadtteile verwechselt. Oder der Name der Straße ist falsch.
»Gibt es bei Ihnen im Haus denn Apartmentwohnungen?« Es ist ein Strohhalm, an den ich mich klammere. Mit angehaltenem Atem warte ich.
»Doch, Apartments gibt es hier«, antwortet sie. »Aber die sind alle belegt, da ist nichts frei, soweit ich weiß.«
Die Luft entweicht aus meinen Lungen. Das war meine letzte Hoffnung. Als ich nicht sofort etwas erwidere, höre ich die Frau am anderen Ende der Leitung entnervt seufzen.
»Hören Sie, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, okay?«
»Aber Mr Scarlett hat mir …«
»Tut mir wirklich leid für Sie, Herzchen. Einen schönen Tag noch.« Es klickt in der Leitung. Sie hat aufgelegt.
Wie erstarrt sitze ich mit dem Hörer in der Hand da. Übelkeit steigt in mir auf, und plötzlich ist mir kalt, als mir klar wird, was das alles bedeuten muss.
Der Mann, den ich für meinen Vermieter gehalten habe, ist offensichtlich ein Betrüger, der es lediglich auf die dreihundert Pfund Kaution abgesehen hatte. Die Wohnung existiert gar nicht – aber woher hätte ich das wissen sollen? Sie hat im
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