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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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wert.“
    „Danke. Unvorstellbar, wenn …“ –
    „Für uns alle, richtig. Ein Augenblick der
Unachtsamkeit, ein Fehler, der uns nicht noch einmal unterlaufen sollte.“
    „Die Papiere gehen Montag raus.“
    „Gut, dann kann es losgehen. Ich lasse von mir
hören, bald.“

17
    Martens war kein Mann vieler Worte. Als wir wieder
ins Büro kamen, lag ein Zettel auf meinem Platz, darauf nur ein Wort: Martens.
    Er saß in seinem behelfsweise klimatisierten
Büro und schien stundenlang nur auf uns gewartet zu haben. Was ihn an einem
Sonnabend ins Büro trieb, blieb sein Geheimnis. Der Schreibtisch war
leergefegt, nichts wies auf unerwartete Aufgaben hin, deren Erledigung keinerlei
Aufschub duldet. In der Ecke brummte die Baumarktklimaanlage, die es ihm
ermöglichte, auch an Tagen wie diesem mit Schlips und hellblauem Hemd seiner Führungsverantwortung
nachzukommen.
    Ingolf Martens´ Stärke bestand im Management. Bewaffnet
mit Organigrammen und Ablaufplänen konnte er mühelos hundert Beamte verwalten,
ohne je den Überblick zu verlieren. Ein Ingenieur der Verwaltungskunst. Mehr
nicht. Was ihm gänzlich fehlte, war Instinkt, diese unschätzbare Fähigkeit,
quasi mit dem Bauch zu denken, die Spur des Täters zu riechen, zu schmecken,
aus einem scheinbar unentwirrbaren Knäuel im entscheidenden Moment den
richtigen Faden zu ziehen, ohne zu wissen, warum. Manch einer nennt es Glück,
aber auch das war ihm nicht gegeben.
    Martens wusste um diese Schwäche und war klug
genug, sie zu beherrschen. Situationen, die Begabung verlangten, erkannte er blitzschnell,
und bevor er in die missliche Lage kam, sich ihnen aussetzen zu müssen, war er
verschwunden. Nicht jedoch, ohne vorher jede Verantwortung delegiert zu haben. Und
bei der Auswahl des Personals griff er fast nie daneben. Effizienz war
sein Lieblingswort und komplexe, unüberschaubare Verfahren, die den Etat über
Gebühr strapazieren könnten, hasste er abgrundtief.
    Mein Bild von Martens war einfach und
übersichtlich: Auf ihn konnten sich Politiker wie Kriminelle gleichermaßen verlassen,
wenn es darum ging, die organisierte Kriminalität wie einen unglücklichen
Verkehrsunfall aussehen zu lassen. Männer wie er schafften es, dem Bürger das
wohlige Gefühl zu vermitteln, dass er sein Leben an einem der sichersten Orte
dieser Welt verbringen darf. Auch wenn die Zeitungen immer wieder ein anderes
Bild zeichneten, Martens wusste ganz genau: Die Zeitung von heute ist die, wo
morgen der Vogel drauf scheißt. Vor allem wusste er: Der Wahrheit ins Auge zu
sehen, würde alle teuer zu stehen kommen, Geld, Geld und nochmals Geld kosten.
Und so kletterte er auf der Karriereleiter beständig nach oben, wohl wissend,
dass nur lösbare Probleme den weiteren Aufstieg sicherten. Wer zugibt, mit
einem Problem nicht fertig zu werden, gehört zu den ehrlichen Verlierern auf
dieser Welt.
    Und weil nur wenige die Verliererseite
erstrebenswert finden, gibt es auch nur wenige wirkliche, heißt schwer oder gar
unlösbare Probleme. Organisierte Kriminalität, Mafia, russische Banden?
Verschweigen konnte man sie nicht, aber sie galten als fremd, eingeschleppt wie
ein Virus. Mit uns hat das natürlich nichts zu tun, wir wurden nur zufällig infiziert.
Es hat mich Jahre gekostet, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
    Martens machte auch gar kein Hehl daraus, dass
er mit derartig Unvorstellbarem höchstens dann zu tun haben wollte, wenn er
sich den Abend mit amerikanischen Krimiserien verkürzte. Sollte dennoch dann
und wann der leise Verdacht aufkommen, ein Fall sei komplexer, weise gar
Anzeichen organisierter, über Ländergrenzen hinausreichender Gruppentaten auf, wirkte
sich dies auf seine Stimmung nur kurzzeitig aus, da er über die seltene Gabe verfügte,
prompt neue Problembereiche definieren zu können, die „prioritär“ zu behandeln seien.
Noch besser gefielen ihm allerdings Schwerpunktmaßnahmen, die er damit begründete,
dass stadtbekannte Medien dem Senator unangenehme Fragen stellen würden. Und so
löste sich das eigentliche Problem in Wohlgefallen auf, die Fallzahlen
stagnierten mangels Ermittlungen und suggerierten die allseits erwünschte Beschaulichkeit.
    Wenn Martens also an einem Sonnabend ins Büro
eilte, konnte das nichts anderes bedeuten, als dass er Gefahr witterte.
    „Ist die Tote aus dem Kanal abgeschlossen, wenn
ihr schon heute ins Büro kommt und Überstunden macht?“, fragte er und beugte
sich leicht nach vorn, während seine aneinandergelegten

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