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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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alte
Berlin samt Besichtigung des Straßenstrichs mit anschließendem Gruppenfoto.
    Vor Jahren war die Ankunft der Touristengruppen
noch mit einem unüberhörbaren Klicken der Fotoapparate verbunden, dank der
modernen Digitalkameras kehrte jetzt schnell wieder Ruhe ein.
    Ich griff nach einem Notizblock und versuchte
mich an einer Bestandsaufnahme. Was wusste ich über Lily? Was wusste ich
wirklich über sie nach all der Zeit? Ich starrte auf das leere Blatt, durchsuchte
mein Gedächtnis nach Anhaltspunkten, nebensächlichen Bemerkungen, Erinnerungen.
Gorrman, Borrmann. Nein, es gab kein altes Protokoll, das mir helfen könnte. Nichts,
obwohl sie mir in den letzten Jahren so nah wie keine andere zuvor war.
    Donnerstag vor zwei Wochen: Ärger mit einem
Kunden.
    Vielleicht noch: blonde Perücke, keine
Wohnungsbesuche, keine billigen Absteigen, feste Termine. Nichts, was auf eine vierzehn
Jahre alte Bekanntschaft oder gar auf das, was ich in den letzten vier Jahren
für eine feste Beziehung hielt, schließen ließ. Wenn sie kam, schliefen und
lebten wir miteinander, wie zwei, die wie zufällig im Strom der Zeit aneinander
vorbei trieben und für einen kurzen Moment aneinandergeklammert Halt suchten,
um ihrer Einsamkeit ein Ende zu setzen. Bis es sie weiter trieb. Einzig, dass
sie immer wieder kam, gab ein Gefühl von Beständigkeit, auch wenn ich mehr von
der Hoffnung als dem sicheren Wissen darum lebte.
    Lily sprach nur in Andeutungen über ihre Arbeit
und auch das nur selten. Ich fragte nicht, da ich wusste, ich würde nur erfahren,
was sie preiszugeben bereit war.
    Vor zwei Wochen also war sie mitten in der
Nacht bei mir aufgetaucht. Aufgeregt aber wortkarg lief sie ziellos durch die
Wohnung und verschwand dann in der Dusche. Als sie ins Bett kam, griff sie nach
meiner Hand und drückte sie wortlos an ihre Wange. Am nächsten Morgen wachte
ich allein auf.
    Ich wusste nie, wie ich sie erreichen konnte. Doch
sie schien zu fühlen, wann sie mich auflesen, vor dem Absturz retten musste,
kam unerwartet und doch immer im richtigen Moment. Lily war weit mehr für mich,
als ich noch zu hoffen gewagt hatte. Sie stellte keine Forderungen, die ich
schon lange nicht mehr erfüllen konnte. Keine Rechenschaft, keine
Verpflichtungen.
    Ich schob eine ihrer CDs in den Player und ließ
mich durch den Abend treiben. Pianojazz, wie sie ihn liebte, geliebt hatte. Nach
der ersten Flasche Rotwein wechselte ich zu den Stones, die über die Straße dröhnten,
bis einer meiner Mitbewohner energisch „Ruhe“ brüllte.
    Wir hatten in die wenigen gemeinsamen Tage
hinein gelebt. Sie hatte mich aus meiner selbst gewählten Isolation befreit,
wenn auch nur für kurze Zeit.
    Daniela hatte keine Kraft mehr, damals vor neun
Jahren. Die schlaflosen Nächte, die leeren Flaschen am Morgen hatte sie
ertragen. Aber als ich mitten in der Nacht mit der Waffe in der Hand auf dem
Boden kniete, stand sie wortlos auf, packte zwei Koffer und ging. Irgendwann
kamen die Scheidungspapiere per Einschreiben. Sie sprach nie über diese Nacht,
es hätte mich meinen Job gekostet. Sicher wollte sie mir damit helfen,
vielleicht hat sie mich den Schatten aber auch nur endgültig ausgeliefert. Ich
rührte monatelang keinen Alkohol mehr an.
    Nach ihr gab es nur noch die Mädchen von der
Straße und dann und wann mal eine Zufallsbekanntschaft. Ich hatte kaum Freunde,
vermied Abende mit den Kollegen. Und für Frauen, die es zur Polizei zog, hatte
ich noch nie viel übrig. Irgendwann war ich dann zu alt für Überraschungen, zu
lange allein, um mich noch nach Gesellschaft zu sehnen.
    Wenn ich die Tür meines Büros schloss,
wechselte ich die Existenz, schreckte vor jeder zufälligen Berührung zurück. Ich
hatte mich abgefunden mit mir und zählte die Tage bis zu meiner Pensionierung.
Es waren mehr als 7000.
    Eine Flasche noch, Sade´s „Love de luxe“ im Ohr
und endlich war ich hinüber, schlief traumfrei.
    Gegen fünf Uhr weckten mich die Vögel auf den
Friedhofsbäumen. Ich schleppte mich ins Schlafzimmer und schlief weiter bis in
den frühen Nachmittag.
    Den Rest des Tages verbrachte ich mit blauen
Mülltüten und den kärglichen Resten, die Lily in meinem Leben hinterlassen
hatte. Wattebäuschchen, ein Make-up-Set für zwischendurch, Nachthemd, Haarbürste.
Mit jedem Gegenstand spürte ich die Wärme ihrer Haut an meinem Rücken. Ich
fühlte mich, als würde ich sie zum zweiten Mal umbringen. Weg, alles bis auf
das Foto über meinem Schreibtisch.
    Am Abend fiel mir auf,

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