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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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Fingerspitzen die Pose eines
Schöngeistes nachzuahmen versuchten, auch wenn seine barocken Finger keinen
eleganten gotischen Spitzbogen, sondern eher eine Hundehütte formten.
    „Der Mörder war leider nicht so freundlich, uns
seine Visitenkarte zu hinterlassen“, sagte ich. „Das wird dauern.“
    Martens stutzte: „Ich denk, die Nutte ist ertrunken.“
    „Ja, ja, dachten wir auch“, erwiderte Mader
gelangweilt, und schabte mit dem Nagel ihres Zeigefingers Lackreste vom Daumen.
„War aber wohl doch kein Unfall und auch kein Selbstmord.“
    Ich sah Martens an, wie es in seinem Kopf arbeitete.
Mord, zwei Beamte wochenlang im Einsatz. Unbekannte Tote, vermutlich aus Osteuropa.
Völlig aussichtslos. Wird sowieso eingestellt, massenhaft Arbeitsstunden
vergeudet.
    „Was macht Sie da so sicher?“
    „GHB, Gamma-„
    „Kenn ich“, unterbrach er sie schmallippig. „Ich
halte das, mit Verlaub, kaum für Erfolg versprechend.“
    „Tja,“ ich machte eine kleine Pause, „erklären
Sie das mal der Staatsanwaltschaft. Die sehen das bestimmt weniger
betriebswirtschaftlich. Mord heißt eben Mord bei denen. Ob es uns passt oder
nicht. Wir haben den vorläufigen Bericht schon mal abgeschickt. Kopie liegt
Ihnen Montag vor. Der abschließende Autopsiebericht folgt.“
    Martens zuckte, aber er war zu spät gekommen.
Der Apparat lief schon. Ich war über mich selbst erstaunt, ohne mit der Wimper
zu zucken, hatte ich ihm ein im Ansatz befindliches Vorermittlungsverfahren als
klaren Fall für die Staatsanwaltschaft verkauft.
    „Ich will regelmäßig informiert werden – vor
der Staatsanwaltschaft.“ Wir waren entlassen.
    Im Faxkorb lag endlich der Autopsiebericht. Während
wir noch lasen, kämpfte Schneiderhannes am Ende des Flurs mit einem
Hustenanfall.
    Alle Sachen waren fabrikneu, er hatte Kleberspuren
weiterer Etiketten ausgemacht. Neu war indes: Der Mageninhalt ließ auf ein
Restaurant der gehobenen Preisklasse schließen.
    Rotwein, grüner Salat, Trauben, Hummer und – dicke
Bohnen. Blutalkoholwert: 0,8 Promille.
    „GHB gerade noch nachweisbar, war knapp. Aber,
sehr verehrte Frau Kollegin, inzwischen greifen wir auch auf Haare zurück.
Haare, das Archiv menschlichen Fehlverhaltens schlechthin. Wissen die
wenigsten. Für Interessierte empfehle ich meine Lektion am kommenden Mittwoch.“
    Mader quittierte den Hinweis mit einer
hochgezogenen Braue.
    „Ich denke, sie haben ihr zwei bis drei Gramm
gegeben, plus Alkohol, das hat gereicht. Nach spätestens dreißig Minuten war
sie bewusstlos und dann blieben mindestens 90 Minuten Zeit. Genug also, um sie
umzuziehen, vorsichtig ins Auto zu verfrachten und an den Kanal zu fahren. Ausladen.
Exitus. Wer immer das getan hat, hat wirklich an fast alles gedacht. Keine
Make-up Reste, keine fremde DNA. Nur Fussel von einem Handtuch, das es in jeder
Ramschkiste gibt.“
    „Und sie kann wirklich nicht aus dem Fluss rein
getrieben sein?“
    „Ausgeschlossen! Die Brühe da ist einmalig.“
    „Das Essen ist interessant, oder?“ Mader war
der einzige Planungsfehler sofort aufgefallen.
    „Tja, den Magen haben sie ihr nicht ausgepumpt,
hat mich auch gewundert. Aber, niemand ist vollkommen.“
    Sie blätterte in dem Bericht: „Was ist mit dem Rotwein?“
    „Fehlanzeige, soweit reichen meine Fähigkeiten
dann doch nicht. Da hätte sie schon die Weinkarte verschlucken müssen. Wäre
aber eine schöne Idee für ein Forschungsprojekt: analytische Auswertung des
Mageninhalts hinsichtlich des differenzierten Nachweises zuvor aufgenommener
Rotweinsorten.“
    Auf dem Flur polterte irgendwer vor sich hin. Israel , Scheiße und Botschaft drangen durch die angelehnte Tür.
    Ich ging hinaus. Am Ende des Flurs stand die
Bereitschaft vor dem Abteilungsfernseher und verfolgte die Nachrichten. Israelische
Kampfflugzeuge bombardierten Beirut. Ich verstand sofort, was sie meinten. Vor
Jahren hatten Kurden unter den Augen der Polizei die israelische Botschaft
gestürmt. Krieg in Israel, das konnte schnell heißen: Aufruhr in Berlin.
Libanesen, Araber, Hamas-Leute, Hisbollah-Schläfer, lauter leicht erregbare
Gemüter. Vielleicht war Martens deshalb so aufgebracht. Er zählte seine
Schäfchen und sah den Personalnotstand voraus.
    „Feierabend!“, sagte ich, griff nach meinem
Handy und drehte Schneiderhannes Richtung Tür.
    „Morgen ist Sonntag und Sonntag dienen wir dem
Herrn.“

18
    Unter meinem Balkon hielt ein Reisebus und
spuckte eine Ladung fröhlicher Japaner aus. Abendlicher Rundgang durchs

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