Coltan
Hände tief in den Taschen. Ahrendt spürte,
wie seine Halsschlagader hervortrat.
„Na, will mal nicht so sein. Wir haben Ihre
Azubis auf dem Weg zurück begleitet. Von Schneeberg, Sie erinnern sich?“ Gallert
hob den Kopf gen Decke und ließ ihn kreisen: „Nicht ganz korrekt, aber Sie kennen
das ja.“
„Was wollen Sie?“
„Ich möchte Frau Gormann beerdigen.“
Ahrendt atmete hörbar aus.
„Sie können von Glück sagen, dass ich kein
Dienstaufsichtsverfahren gegen Sie einleiten lasse.“
Gallert wusste, wie er jetzt zu reagieren
hatte. Auch wenn es ihm schwerfiel, er senkte unsicher, schuldbewusst den Blick.
Ahrendt war doch kein so guter Menschenkenner.
Plötzlich fühlte er sich wieder überlegen, unangreifbar und setzte nach: „Oder
ist es in Ihrem Haufen üblich, dass leitende Beamte ihre Kontakte zu einem Mordopfer
geheim halten?“
Gallert nahm abwehrend die Hände aus der
Tasche: „Sicher nicht. Vielleicht können Sie es ja dabei bewenden lassen.
Bitte.“
Jetzt war es Ahrendt, der eine Hand in der
Hosentasche verschwinden ließ.
„Reut-ter!“
„Ja.“, militärisch exakt, zwei Schritte, dann
stand er neben seinem Chef.
„Veranlassen Sie die Freigabe des Leichnams
Gormann. Sonst noch was?“
Gallert blieb stumm und Ahrendt verschwand wortlos
im Treppenhaus.
„Sie können sie morgen abholen lassen. Ich
veranlasse das.“, erklärte Reutter hoch aufgerichtet und wies mit der Hand
Richtung Tür.
103
Mittwoch.
Mader hatte den Terminkalender des
Staatssekretärs ausgiebig studiert. Kein Auslandsbesuch, kein Empfang.
Seine Frau, Eva Starnhagen, war derzeit daheim
in der Familienvilla in Zehlendorf. Geerbt, vom Onkel mütterlicherseits. Wenn
Mader etwas interessierte, dann klärte sie es.
Wir verabredeten, zeitgleich um zehn zuzuschlagen:
ich im Ministerium, sie in der Villa.
„Und, wie war Dein Nachmittag.“
Ich erzählte ihr von dem Besuch bei Ahrendt.
Sie stieß einen Pfiff aus.
„Anschließend noch der Bestatter. Ich hab mich
für Händel entschieden. Sie wird eingeäschert. Und dann bringe ich sie ans
Meer. Soll der Wind sie mitnehmen und um die Welt tragen. Ich glaube, das hätte
sie so gewollt.“
104
Noch spendeten die wiederauferstanden
klassizistischen Prunkbauten kühlen Schatten. Nicht mehr lange, denn schon
leckten die Sonnenstrahlen wieder am schmalen Streifen Katzenkopfpflaster neben
den granitenen Gehwegplatten. Den Kaffeebecher in der Hand schlenderte ich Unter
den Linden, auch wenn die neu gepflanzten Bäumchen noch wenig Ähnlichkeit mit
den ursprünglichen Namensgebern hatten, entlang. Auf dem breiten
Mittelstreifen, einst für unbeschwerte Flaneure angelegt, tummelte sich ein Dutzend
Bauarbeiter. Sie rissen den erst vor wenigen Jahren sanierten Boulevard wieder
auf, weil irgendein Forscher entdeckt hatte, dass die historischen Maße nicht
eingehalten worden waren.
Noch zehn Minuten. Ich ließ mich auf einer Bank
nieder, zog mein Jackett aus, das schwarze, mehr Auswahl war nicht.
Vorm Ministeriumseingang hielt ein Kleinbus, aus
dem zwei Männer und eine Frau ausstiegen. Sie öffneten laut redend die Heckklappe
und luden eine Kamera und diverse Koffer aus.
Ideal, dachte ich, noch ein letzter Auftritt und
dann ab in den Urlaub. Ob sie vielleicht Interesse an einigen Details aus dem
Leben des Herrn Staatssekretärs Starnhagen haben? Gern stehe ich für ein
Interview zur Verfügung, ja, gleich hier. Die Männer packten die Kamera, die
Frau hielt ihnen die Tür auf, dann waren sie hinter dem dunkel getönten Glas
verschwunden.
9:55 Uhr, dreißig Meter bis zur
Sicherheitsschleuse, den Dienstausweis in der Hand. Der Wachmann will mich
ankündigen, ein drohender Zeigefinger genügt. Vierter Stock, zweimal rechts,
ganz leicht zu finden.
Die Tür, Buche massiv, leuchtet warm am Ende
des sonnenlosen Gangs.
Klopfen, eintreten, Dienstausweis auf den Tisch.
Dann die freundliche Bitte, den Herrn Staatssekretär von meiner Anwesenheit
nicht nur in Kenntnis zu setzen, sondern zugleich um ein dringend notwendiges
Gespräch zu ersuchen.
Schweigen, hochgezogene Augenbrauen, Stirnrunzeln.
„Sie hätten sich anmelden sollen. So einfach geht das nicht. Herr Dr.
Starnhagen hat Termine.“
Zweiter Anlauf. Ich wiederhole wortgleich meine
gut einstudierte Ansprache. Und lächle. Auf ihrem Tisch ein Namensschild.
Sie erhebt sich, jetzt sind wir auf Augenhöhe.
Ich füge noch ein „Bitte, Frau Seeligmann“ hinzu, kurz unterhalb der Tonlage,
die und jetzt ab! meint.
Nein,
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