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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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an, rasten tatsächlich schnaubend und schwitzend von Haus zu Haus und hatten tatsächlich geduscht, bevor sie zum Frühstück erschienen und dem Polly, der ihnen die Strafe aufgebrummt hatte, ihren ausgefüllten Zettel hinhielten. Ich brachte ihnen niemals den Zettel, sondern wartete immer, bis der Polly hinter mir herkam, ihm für einen Moment den triumphalen Gedanken gönnend, ich hätte es wagen können, meine Tish Order nicht auszuführen, und sei damit endgültig reif.
    »Wo ist er, Fry?«
    »Zweite Tür links, nicht zu verfehlen. Stinkt nach Pisse und Exkrementen.«
    »Spar dir deine Scherze. Ich habe dir gestern eine dreifache Order erteilt.«
    » Wirklich? Bist du dir sicher, daß du mich nicht mit meinem Bruder verwechselst?«
    »Werd nicht frech. Du weißt genau, worum’s geht.«
    »Tut mir leid. Ist mir völlig entfallen.«
    »Wie?«
    »Tja. Ärgerlich, was?«
    »Also, in dem Fall ...«
    »Und dann ist’s mir in letzter Sekunde wieder eingefallen. Hier ... Coppings Unterschrift ist besonders elegant, was meinst du? Dieses schwungvolle ›C‹ ... diese sorglose Grazie bei der Schleife des ›g‹ ...«
    Eine andere angenehme Pflicht war der Weckdienst. Die meisten Anfänger haßten es, wenn die Reihe an ihnen war, aber ich zählte die Tage mit wachsender Erregung. Der Weckdienst verband eine Reihe von Dingen, die mir am liebsten waren: der frühe Morgen, der Klang meiner eigenen Stimme, effizienter Service und eine Spur von Erotik. Vielleicht hätte ich Flugbegleiter werden sollen ...
    Spätestens um Viertel nach sieben sprang ich aus dem Bett, zog mich an und schlich mich auf Zehenspitzen aus dem Schlafsaal. Ich ging runter in den Speisesaal, wo die Topfschlampen den Frühstückstisch deckten, wünschte ihnen einen guten Morgen, schwatzte ihnen vielleicht eine Scheibe Brot mit Butter ab und verglich meine Armbanduhr mit der Uhr an der Wand. Dann hoch zu einem Tisch am Treppenabsatz, auf dem eine riesige Messingglocke mit Lederschlaufe wartete. Um Punkt halb acht nahm ich die Glocke und begann zu läuten. Sie war so schwer, daß es drei oder vier Schläge dauerte, bis der Klöppel den richtigen Rhythmus fand. Ich zog von Schlafsaal zu Schlafsaal, die ganze Zeit kräftig die Glocke schwingend und dazu aus Leibeskräften jenen beschwörenden Singsang brüllend, den alle Morgendiener brüllten und der hier eigentlich mit der entsprechenden Notation wiedergegeben werden müßte:
    »Die Zeit halb acht!«
    Nachdem ich dies auf der Türschwelle aller vier Schlafsäle wiederholt hatte, mußte ich von Nische zu Nische flitzen und jeden Jungen einzeln wecken, wobei ich – und das war der eigentlich schwierige Teil – in Fünfsekundenabständen rückwärts zu zählen hatte. Das heißt, ich mußte ihnen die genaue Zeit sagen, die ihnen bis zehn vor acht blieb, wenn der letzte Weckruf vor dem Frühstück um acht ertönte.
    Ich hastete also von Nische zu Nische, rüttelte die Schläfer wach und brüllte ihnen ins Ohr: »Noch achtzehn Minuten und fünfund-vierzig Sekunden ... noch achtzehn Minuten und vierzig Sekunden ... noch achtzehn Minuten und fünfunddreißig Sekunden«, und so weiter, bis um zwanzig vor acht die Zeit für den nächsten allgemeinen Weckruf und erneutes Glockenläuten gekommen war.
    »Noch zeeehn Minuten!« hieß es diesmal, und dann zurück zu den Nischen. »Noch neun Minuten und fünfundzwanzig Sekunden ... noch neun Minuten und zwanzig Sekunden ...«, bis zum letzten, triumphalen Schlag der Glocke und dem gellenden Ruf:
    »DIE ZEIT ZEHN VOR ACHT!«
    Mittlerweile drängelte sich dann schon ein lärmender Haufen Jungen an mir vorbei, laut fluchend und schimpfend, sich die letzten Hemdknöpfe zuknöpfend und schäumend von Zahnpasta und schlechter Laune.
    Einige Jungen waren extrem schwer wachzukriegen, und wenn man sie nicht vernünftig wach rüttelte und sie zu den Älteren gehörten, machten sie einen für ihr Zuspätkommen verantwortlich und veranstalteten ein Heidentheater. Einige taten auch nur so, als seien sie schwer zu wecken, um ihre geheimen Spielchen mit einem zu treiben. Sie schliefen nackt unter ihrem Laken, um einen beim Betreten der Nische mit allen Anzeichen tiefen Schlafs und einer ebenso unschuldigen wie strammen Morgenlatte zu empfangen. Das geheime Spiel bestand darin, daß, während man sie an den Schultern wach zu rütteln versuchte, man wie zufällig mit dem Ellbogen oderdem Unterarm ihren zuckenden Schwanz rieb. Ohne ein Wort zu sagen, spielte man entweder die ganze

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