Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
damit ich lebe, und das, was jeder Gläubige erhofft wie ich, zusammen mit der zuvor genannten lebendigen Erkenntnis des Guten haben mich herausgezogen aus dem Meer verkehrter Liebe und stellten mich ans Ufer der wahren. Alles was im Garten des ewigen Gärtners wächst, liebe ich in dem Maß, als er ihm Gutes gegeben hat.«
67 Als ich schwieg, erklang über den ganzen Himmel hin süßester Gesang, und meine Herrin rief wie die anderen: »Heilig, heilig, heilig!« Wie jemand bei gleißendem Licht aus dem Schlaf erwacht, weil der Sehgeist dem Glanz entgegenstrebt, der von Hülle zu Hülle durchdringt, und wie der soeben Erwachte zurückschreckt vor dem, was er sieht – ihn überrascht sein plötzliches Erwachen, bis die Urteilskraft ihm zu Hilfe kommt –, so verscheuchte Beatrice aus meinen Augen jedes Hindernis mit dem Strahl der ihren, der mehr als tausend Meilen weit erglänzte. Von da an sah ich besser als zuvor, und wie überwältigt fragte ich nach dem vierten Licht, das bei uns war. Und meine Herrin: »In diesen Strahlen liebt ihren Schöpfer die erste Seele – die erste überhaupt, die die erste Kraft erschuf.« Wie ein Zweig seine Spitze neigt, wenn der Wind vorbeizieht, sich dann aufrichtet aus eigener Kraft, die ihn erhebt, verhielt ich mich voller Staunen, während sie sprach. Aber ich brannte von dem Wunsch zu sprechen, und das gab mir die Sicherheit wieder zurück. Ich begann: »O Frucht, als einzige reif entstanden, o Urvater, für den jede Braut zugleich Tochter und Schwiegertochter ist, ich flehe dich an, so ergeben ich kann, du möchtest mit mir reden. Du siehst meine Sehnsucht; um dich so bald wie möglich zu hören, rede ich nicht weiter.«
97 Manchmal zappelt ein Tier unter einer Decke so, daß man durch sie hindurch erkennt, was es will. So ähnlich gab die Erstlingsseele mir zu erkennen, wie gern sie mir willfahren wollte. Dann hauchte sie: »Ohne daß du es mir vorgetragen hast, sehe ich dein Verlangen deutlicher als alles, was du für sicher hältst, denn ich sehe es in dem wahren Spiegel, der die Dinge nach sich bildet, während für ihn kein Ding das Vorbild ist. Du willst von mir hören,
109 – wie lang es her ist, daß Gott mich in den hochgelegenen Garten versetzt hat, in dem diese Frau hier dich auf langem Stufenweg vorbereitet hat,
– für wie lange Zeit er die Wohltat meiner Augen war,
– was der eigentliche Grund war für den großen Zorn
– und welche Sprache ich schuf und gebrauchte.
115 Nun, mein Sohn, das Essen von diesem Baum, für sich genommen, war nicht der Grund der langen Verbannung, sondern das Überschreiten eines Grenzzeichens.
118 Von dort, von wo deine Herrin Vergil aufbrechen hieß, sehnte ich mich viertausenddreihundertzwei Umläufe der Sonne lang nach dieser Versammlung, und solange ich auf der Erde war, sah ich sie neunhundertdreißigmal zurückkommen zu allen Leuchten ihrer Straße.
124 Die Sprache, die ich benutzte, war schon ganz erloschen, bevor Nimrods Leute das unvollendbare Werk begannen. Nichts, was Vernunft je hervorbrachte, hat für immer gedauert, denn das Verlangen der Menschen ändert sich mit dem Lauf der Sterne. Es gehört zur Natur, daß der Mensch spricht, aber ob so oder so, das überläßt die Natur euch, wie es euch gefällt. Bevor ich zur Höllenangst herunterstieg, war I der Name des höchsten Guts, von dem die Freude kommt, die mich umgibt; danach war sein Name EL. [722] Dieser Wandel mußte sein, denn die Gewohnheiten der Sterblichen sind wie Laub am Zweig, das kommt und geht.
139 Auf dem Berg, der sich am höchsten aus den Wellen hebt, war ich, nimmt man das reine und das sündige Leben zusammen, von der ersten Stunde bis zu der, die auf die sechste folgt, wenn die Sonne den Quadranten wechselt.«
Canto 33
Bernhard bittet in feierlichem Gebet Maria, dem Dichter die Anschauung Gottes zu vermitteln. Die Bitte wird gewährt: Er sieht den Gottespunkt als Trinität und Gottmensch. Der Augenblick der Beseligung ist kurz. Gott hat ihn zu anderem bestimmt: zum Schreiben der Commedia.
1 »Jungfrau Mutter,
Tochter deines Sohnes,
niedrig und hoch, mehr als Geschöpf,
fester Zielpunkt des ewigen Rates!
4 Du bist es: Du hast die menschliche Natur so geadelt,
daß ihr Schöpfer es nicht verschmähte,
ihr Geschöpf zu werden.
7 In deinem Leib ward die Liebe wieder entzündet;
durch ihre Wärme
im ewigen Frieden
ist diese Rose aufgegangen.
10 Hier bist du für uns das Mittagslicht der
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