Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
ich mich also veränderte, drängte sich mir die einzige Erscheinung mächtig auf: Im tiefen und klaren Wesen des hohen Lichtes erschienen mir drei Ringe in verschiedenen Farben und von derselben Größe. Der eine schien die Widerspiegelung des anderen zu sein wie Regenbogen von Regenbogen, der dritte schien Feuer, gleichermaßen ausgehaucht von den anderen.
121 Oh wie schwach ist mein Reden, gleichsam stimmlos gegen meinen Begriff! Und im Vergleich zu dem, was ich sah, ist es zu wenig zu sagen, er sei klein.
O ewiges Licht, du allein wohnst in dir selbst. Du allein verstehst dich und von dir verstanden verstehend liebst du dich und lachst dich an! Diese Kreisbewegung, die sich begreift, sah in dir aus wie reflektiertes Licht. Aber von mir eine Weile genauer besehen, erschien mir hineingemalt in derselben Farbe unser Bild, weshalb mein Blick sich ganz in es versenkte.
133 Wie es dem Geometer geht, dem alles darum zu tun ist, den Kreis auszumessen, [775] der aber, soviel er nachdenkt, das Prinzip nicht findet, das er braucht, so ging es mir bei diesem außerordentlichen Anblick: Ich wollte sehen, wie dieses Bild zum Kreis paßt und wie es in ihm Platz findet. Aber dazu reichten meine Flügel nicht, doch mein Geist war erschüttert von dem Lichtblitz, in dem er sein Glück fand. Der hohen Phantasie versagte hier die Kraft, aber schon wälzte Liebe meine Sehnsucht und mein Wollen um, wie ein Rad, das sich im Gleichmaß dreht, die Liebe, die die Sonne bewegt und die anderen Sterne.
Einladung, Dante zu lesen
Von Kurt Flasch
Vorwort
Dies ist kein Buch für Dante-Spezialisten, sondern für Dante-Freunde und solche, die prüfen, ob sie es werden wollen. Es gibt einführende Hinweise für das Lesen von Dantes Commedia . Auch die sog. ›kleineren Werke‹ Dantes sind um ihrer selbst willen lesenswert, aber von ihnen spreche ich nur im Hinblick auf Dantes Hauptwerk.
Deutschsprachige Leser der Commedia brauchen heute Hilfe. Daher rede ich von den Schwierigkeiten, die dem Verständnis entgegenstehen, aber das tue ich erst im zweiten Stadium. Wer viel über Picassos Les Demoiselles d’Avignon von 1907 oder über die Kathedrale von Chartres gelesen hat, bevor er sie gesehen hat, dessen Wahrnehmung wird beengt. Daher führt das Vorspiel dieses Buches direkt, wie mit einem Sprung, zu Dantes Original. Informationen, Vertiefungen und Debatten folgen später.
Der zweite Teil gesteht zunächst einmal zu, daß Dante uns ferngerückt ist. Seine ersten zwei Kapitel bilden eine verlängerte Einleitung; sie helfen die erste Fremdheit überwinden. Danach gehe ich die drei Hauptteile der Commedia durch, kehre also mit neuen Gesichtspunkten zur Hölle zurück; mit ihr muß das Lesen der Commedia ohnehin beginnen.
Der dritte Teil löst sich mehr vom Text und bespricht allgemeinere Fragen: Wer war Beatrice? Wie haben Dantes Zeitgenossen auf ihre Vergötterung reagiert? Weitere Kapitel sprechen von Dantes Sprache, von seiner Philosophie und seiner Konzeption der Politik. Hier geht es um Fragen der ›Struktur‹ und insgesamt um Dantes geschichtliche Stellung.
Der letzte Teil skizziert Wandlungen der Dante-Auffassungen (I) und beantwortet die Frage, warum es von der Commedia immer neue Übersetzungen gibt (II).
Ich will so klar und so einfach wie möglich schreiben. Ich will faßlich reden, ohne gelehrten Dekor, den hinzuzufügen mir nach über sechzigjähriger Arbeit am Denken des Mittelalters leichter gefallen wäre als die harte Beschränkung auf das für den deutschsprachigen Leser Nützliche. Ich beginne mit einfachen Bildern und ausgewählten Informationen, um zur Commedia als Poesie hinzuführen. Es kommen in ihr etwa 600 Personen vor; die Mannigfaltigkeit ihrer Situationen und von Dantes poetischen Erfindungen verwirrt. Mancher Ausleger sucht dieser Verwirrung durch schnelle Einordnung zu entgehen. Dagegen leiste ich Widerstand, indem ich zwar faßlich rede, aber auf den ›herrlichen‹ Zustand zugehe, in dem uns, wie Goethe in den Wanderjahren schreibt, »das Faßliche gemein und albern vorkommt«.
Gerne bedanke ich mich hier bei denen, die meine Dante-Interessen gefördert haben. Ich hatte dabei wunderbares Glück: Ich habe – schon Professor – ein Jahr lang bei Francesco Mazzoni in Florenz Dante studiert; seine Nachfolgerin, Frau Leonella Coglievina, hat mir manchen guten Rat gegeben. Unabschätzbares verdanke ich der jahrzehntelangen Freundschaft und dem ständigen Umgang mit den großen Dante-Forschern
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