Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
die Gesamtheit dieser drei Teile, und jeder muß vom Ganzen her beurteilt werden.
Poesie erstrebt ihrem Wesen nach Universalität. Sie muß jeden Menschen betreffen können. Die antike Dichtung, argumentiert Schelling, sei von der Allgemeinheit ausgegangen, von den Griechen vor Troja bei Homer, von der Gründung Roms bei Vergil. Aber Dante setze bei sich selbst ein. Er nehme seine Besonderheit zum Ausgang, die zur Allgemeinheit werden soll (S. 17). Das kann nur geschehen durch Einarbeitung der ganzen Geschichte dieses Individuums; diese Dichtung werde also historisch, nicht im Sinn der modernen Geschichtswissenschaft, sondern als Erfahrungsfülle der Vergangenheit. Und da bei Dante das Universum selbst poetisch sei, nehme Dante auch dessen Poesie auf in seinem Streben zum Universalen. Daher gehören Astronomie, Philosophie und Theologie in dieses Gedicht, das deswegen aber nicht zum Lehrgedicht werde. Daher stelle Dante der modernen Dichtung die Aufgabe, vom Individuum zum Allgemeinen zu führen, was ohne Aufnahme der geschichtlichen Welt des Individuums nicht möglich ist. Vom Einzelnen aus geht es in die unendliche Vielfalt des Lebens. Das schlechthin Individuelle soll absolut werden. Das wiederum verlangt die »wechselseitige Verschmelzung« von Philosophie und Poesie, »wozu die ganze neuere Zeit sich neigt« (S. 16).
Das habe Dante vorgeführt und sei damit zum »Schöpfer der modernen Kunst« geworden (S. 18). Er habe gezeigt, was der moderne Dichter zu tun hat: »das Ganze der Geschichte und Bildung seiner Zeit, den einzigen mythologischen Stoff, der ihm vorliegt, in einem poetischen Ganzen niederzulegen« (S. 19). Der Künstler der Moderne gehe von sich aus; seine Wahl sei willkürlich, aber dies sei das Schicksal der modernen Kunst: Sie kann »ohne diese willkürliche Nothwendigkeit und nothwendige Willkür nicht gedacht werden« (S. 18). Seine Welt ist einzig, ist eine Welt für sich, »ganz der Person angehörig« (S. 19). Und sie ist als solche zugleich historisch und philosophisch. So nur vereint sie die »absoluteste Individualität« mit Allgemeingültigkeit (S. 21). Es wäre von untergeordnetem Interesse, die Naturauffassung, die Philosophie oder Theologie Dantes aus dieser Einheit von Poesie, Historie und Philosophie wieder herauszulösen, da deren Verschmelzung das Charakteristische der Commedia ist. Klar jedenfalls sei die bestimmende Rolle des Aristoteles, den Dante aber immer in Verbindung mit platonischen Konzepten verstanden habe (S. 20).
Schelling sah die »Kraft und Gediegenheit einzelner Stellen«, die »Einfachheiten und unendliche Naivetät einzelner Bilder« (S. 20), aber damit hielt er sich nicht lange auf. Ihm ging es darum zu zeigen: Die Dreiteilung nach Hölle, Fegefeuer und Paradies sei »unabhängig von der besonderen Bedeutung dieser Begriffe im Christenthum« (S. 21). Die drei großen Gegenstände des Wissens und der Erfahrung: Natur als Grundlage, Geschichte als Erfahrung und Läuterung sowie Kunst als Gestaltung dieser Bereiche kommen nur in der Kunst als gegenwärtig, als »absoluter Zustand« heraus. Nur hier sind sie gegenwärtig, weil die Kunst »die Ewigkeit anticipiert, das Paradies des Lebens ist« (S. 21). Die einzelnen theologischen Vorstellungen nehme Dante auf, weil nur sie seinem unbegrenzten Stoff Form und Begrenzung gaben.
Zur Charakteristik der einzelnen cantiche trägt Schelling über das bereits Gesagte hinaus nach: Das Inferno ist das stärkste im Ausdruck. Schelling erklärt sich und uns den Abscheu der vorausgehenden Jahrhunderte: »Dantes Geist entsetzt sich nicht vor dem Schrecklichen, ja er geht bis an die äußerste Grenze desselben« (S. 23). Aber: »Zwischen den Verbrechen und den Qualen ist nie ein anderer als poetischer Zusammenhang« (S. 23). »Auf einem Theil des Purgatorium ruht eine tiefe Stille, da die Wehklagen der untern Welt verstummen, auf den Anhöhen desselben, den Vorhöfen des Himmels, wird alles Farbe; das Paradies ist eine wahre Musik der Sphären« (S. 23).
4.
Das Individuum wird bleibende Figur: Hegel um 1820
Hegel hat in seinen Vorlesungen über die Aesthetik kurz und nachdrücklich über die Commedia gesprochen. Er geht einen Schritt hinter Schelling zurück, und zwar in zweifacher Hinsicht: Er studiert die Commedia unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung der epischen Poesie, also einer einzelnen Gattung, und findet, im gewöhnlichen Sinne sei sie kein Epos, denn es »fehle eine auf der breiten Basis des Ganzen
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