Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
politische Oberherrschaft zu begründen: Da war die Erzählung von der Konstantinischen Schenkung, als habe Konstantin dem Papst die gesamte Herrschaft im Westen geschenkt. Da war die Legende, es sei der Papst gewesen, der die deutschen Könige mit der Kaiserwürde ausgestattet habe und die er ihnen also auch wieder nehmen könnte, so Papst Bonifaz VIII. [926] In der Hand des Papstes waren demnach beide Schwerter, das geistliche und das weltliche.
Das Programm war unausführbar, es widersprach der älteren Tradition sowohl der Kirche wie des Reichs. Und in derselben Zeit, in der es immer konsequenter ausgearbeitet wurde, wuchs das Selbstbewußtsein auch der weltlichen Herrschaft. Mit der Rezeption des Aristoteles verbreitete sich die Einsicht, der Mensch sei seiner Natur nach, also mit Notwendigkeit ein politisches Wesen und die politische Herrschaft habe ihre Legitimation nicht durch religiöse Zeremonien, sondern durch die Natur des Menschen. Das päpstliche Herrschaftskonzept lief aber darauf hinaus, die Wahl eines deutschen Königs bestimmen zu können wie die eines Bischofs. Der Papst konnte vorschreiben, wen die deutschen Fürsten zu wählen hatten. Das stieß auf Widerstand, aber es hatte damals auch eine gewisse Plausibilität: Wenn alles Geistliche höher steht als das Weltliche, soll es über jenes herrschen. Wenn der Papst nicht nur Vertreter des Apostels Petrus, sondern Christi, also Gottes, war, konnte er in aller Demut sich von allen Herrschern die Füße küssen lassen. Seine Nachfolger im beginnenden 13. Jahrhundert, Honorius III. (1216–1227) und Gregor IX. (1227–1241) bestimmten, wie gesagt, welche Bücher in Paris verboten waren. Andere große Päpste wie Innozenz III. (1198–1216), Bonifaz VIII. (1294–1303) und Johannes XXII. (1316–1334) brachten dieses Projekt an den Rand der Realisierbarkeit und damit zum endgültigen Scheitern. Zuvor war es der Grund für eine Serie von Konflikten mit wechselndem Ausgang. In den Diskussionen und Traktaten über die plenitudo potestatis , also über den weltlichen Herrschaftsanspruch der Päpste, fand es literarischen Ausdruck. Für die Kontrolle der intellektuellen Arbeit behielt es Kraft bis über die Verbrennung von Hus hinaus; die Vielzahl aufsässiger und einander widersprechender Theorien konnte es freilich nicht verhindern. Der Vernunftanspruch vieler Städter und die intellektuelle Produktion hatten bereits eine Eigendynamik, die nicht mehr vollständig zu beherrschen war. Daher die Bekämpfung der Ketzer, die im 13. Jahrhundert dabei waren, ganze Landstriche aus der Oberherrschaft des Papstes herauszubrechen, was zu den grausamen Kämpfen gegen die Albigenser führte (1209–1229).
Ich fasse zusammen: Dante stellte sich als Dichter und Politiktheoretiker gegen drei Haupttendenzen des 13. Jahrhunderts. Er stemmte sich gegen alle drei zugleich, denn sie hatten einen gemeinsamen Ursprung: die Politik der Päpste.
Dante verurteilte die Rebellion der reichen italienischen Städte gegen den Kaiser, die oft vom Papst gestützt und gedrängt wurden, um den Kirchenstaat zu schützen und abzurunden;
er wandte sich gegen die offiziellen Ansprüche auf allumfassende Macht des Papstes, die plena potestas , weil sie dem Gemeinwesen die naturentsprungene Eigenwertigkeit nehmen;
er weigerte sich, Wissen und Gemeinwesen dem Befehl des Papstes zu unterstellen. Er verteidigte das unabdingbare Eigenrecht natürlicher Werte und Institutionen. Unter Nutzung thomistischer Motive sah er sie als Folge der Erschaffung. Als Dichter, Philosoph und politischer Denker antwortete er schroff und klar auf diese geschichtlichen Herausforderungen.
Vier:
Rückblick
I.
Dante-Bilder
1.
Dante verändert sich
Goethe ging respektvoll auf Abstand zu Dante. Was ihm einfiel zur Commedia , waren: Großheit und Maßlosigkeit. Goethes Urteil erinnert an den geschichtlich-wechselhaften Charakter unserer Dante-Bilder. Kulturelle Bedingungen der Leser gehen ein in das Bild, das sie sich von einem Buch und seinem Autor machen. Deswegen werfe ich einen Blick auf den Wandel der Dante-Auffassungen. Sie sind nicht so stabil und nicht so gesichert, wie der glaubt, der sie jeweils vertritt. Die letzten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts der Dante-Deutung in Italien boten ein belehrendes Schauspiel: 1968 und davor herrschte in Italien großes Interesse an den politischen Fragen Dantes, also an seiner Prophetie der Rettung Italiens, am Elend Italiens durch die politische
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