Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
sich fortbewegende, individuell abgeschlossene Handlung« (S. 409). [932] Dennoch zeichne dieses » Epos « sich aus durch »festeste Gliederung und Rundung«. Die Darstellung könne daher nur die Form einer Wanderung durch fertige, unveränderliche Gebiete annehmen. Zweitens rückt Hegel die Commedia ins Mittelalter zurück; von einer wegeleitenden Rolle für die Poesie der Moderne ist bei ihm nicht die Rede. Dante gehört ins katholische Mittelalter. Zwar spiele die Antike herein als »Leitstern und Gefährte menschlicher Weisheit und Bildung«, aber »wo es auf Lehre und Dogma ankommt, führt nur die Scholastik christlicher Theologie und Liebe das Wort« (S. 410). Hegel rückt Dante zunächst weit ab vom Dante-Leser, weiter jedenfalls als Schelling, aber dann holt er zu einer Beschreibung aus, deren Ertrag aus der Dante-Deutung nicht mehr verschwinden konnte, zumal Erich Auerbach sie wiederbelebt hat:
Gegenstand der Commedia sei nicht eine besondere Begebenheit, sondern »das göttliche Handeln, der absolute Endzweck, die göttliche Liebe in ihrem unvergänglichen Geschehen«. Das klingt nun wieder nach Mittelalter und Theologie, aber Hegel fährt fort: Dante »senkt nun die lebendige Welt menschlichen Handelns und Leidens, näher die individuellen Thaten und Schicksale in dies wechsellose Daseyn hinein«. Das sieht zunächst so aus, als sähe Hegel die Individuen im ewigen Licht verschwinden , aber er fährt fort, zugleich stehe »das sonst Vergänglichste und Flüchtigste der lebendigen Welt, objektiv in seinem Innersten ergründet, in seinem Werth und Unwerth durch den höchsten Begriff, durch Gott gerichtet, vollständig episch da. Denn wie die Individuen in ihrem Treiben und Leiden, ihren Absichten und ihrem Vollbringen waren, so sind sie hier, für immer, als eherne Bilder versteinert hingestellt. In dieser Weise umfaßt das Gedicht die Totalität des objektivsten Lebens: den ewigen Zustand der Hölle, der Läuterung, des Paradieses, und auf diesen unzerstörbaren Grundlagen bewegen sich die Figuren der wirklichen Welt nach ihrem besonderen Charakter, oder vielmehr, sie haben sich bewegt und sind nun mit ihrem Handeln und Seyn in der ewigen Gerechtigkeit erstarrt und selber ewig. Wie die homerischen Helden für unsere Erinnerungen durch die Muse dauernd sind, so haben diese Charaktere ihren Zustand für sich , für ihre Individualität hervorgebracht, und sind nicht in unserer Vorstellung, sondern an sich selber ewig« (S. 409). Eine zusammenfassende Formel für das Dante-Bild Hegels könnte lauten: Figuren der wirklichen Welt mit ihrem besonderen Charakter bewegen sich hinein in ihre unzerstörbare, ewige Form. Aber Hegel bewertet dieses Aufbewahrtwerden der Individuen zugleich als Verschwinden oder Versteinerung. Überdies klingt seine Beschreibung, als habe er nur ans Inferno gedacht. Bei ihm ist außerdem Dante, der Wanderer, nur mit dem Besichtigen fertiger Verhältnisse beschäftigt. Daß es um ihn geht, daß er mit leidet, mit geläutert und mit beseligt wird, fällt aus Hegels Betrachtung heraus. Daß die Individualität Dantes der Ausgangspunkt ist und daß er zu seiner Entwicklung den Gang durch die drei Welten braucht, also ein historisches Universum aufarbeitet – diese Einsicht Schellings geht verloren. Hegel stellt klar, daß Dante nicht aus zeitlosem Himmel kam; er spreche die Sprache der antiken Dichtung und der christlichen Theologie. Seine Dichtung hat nichts Vorzeitlich-Urtümliches an sich; sie gehört zur geschichtlichen Welt um 1300. Hegel verengt sie gattungstheoretisch und konfessionell, wenn er die Commedia »das eigentliche Kunstepos des christlichen katholischen Mittelalters« (S. 408) nennt. Schelling sah in den christlichen Inhalten mehr das Allgemein-Menschliche und Mythologische und beschrieb, welchen Nutzen es für die Dichtung brachte: Es gab ihr Form und Begrenzung.
5.
Dante als Ideal des ernsthaften Italien: De Sanctis 1870
Das Dante-Bild Schellings und Hegels zeichnete ein theoretisches Konzept; es hatte keinen Bezug auf die Kämpfe der Dante-Zeit. Die deutschen Denker suchten die Metaphysik Dantes. Das ethisch-politische Programm Dantes fehlte völlig. Von gesellschaftlichen Umbrüchen war nicht die Rede. Das Mittelalter, von dem Hegel redete, bestand nur aus Katholizismus und Theologie und christlicher Liebe; es war eine spiritualistische Entität, nicht der Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Welt. Von der Rolle der Kommunen, von Tuchhandel und
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