Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
Macht der Kirche und an der Entstehung einer neuen Gesellschaft, dreißig Jahre später drängten sich theologische Deutungen vor. Im Kommentar von Anna Maria Chiavacci Leonardi wimmelt es seit 1991 von Bibelzitaten, Liturgietexten und Thomas von Aquino. Es herrscht der Ton frommer Ergriffenheit und devoter Preisung. Wer historisch ein wenig zurückblickt, erkennt kulturelle Voraussetzungen der Dante-Bilder von früher und heute; der Dante-Leser bekommt Gelegenheit zu sehen, wo er steht.
Einen anderen Zweck hat der im Folgenden versuchte Einblick in die Rezeptionsgeschichte nicht. Er will nicht vollständig sein; selbst Autoren, über die ich mich schon im vorliegenden Text und sonstwo geäußert habe – wie Erich Auerbach –, kommen hier nicht vor. [927] Ich will nur anzeigen, wie generelle Prämissen in die Dante-Lektüre eingehen. Auch in meine eigene. Es dürfte klar geworden sein: Sowohl gegen die primär politische wie gegen die primär theologische Dante-Auslegung lese ich die Commedia als philosophierende Poesie mit politischer Absicht. Die philosophische Position Dantes sehe ich weniger durch Thomas von Aquino bestimmt als durch Aristoteles–Averroes–Albert. Dante verband ihre Philosophie, die immer auch in verschiedenen Graden Platonisches enthielt, mit franziskanisch-spiritualistischen Ideen.
2.
Von Petrarca zu Vico (1725)
Dante hat Petrarca und Boccaccio ermöglicht. Von Dantes Tod bis ins hohe 16. Jahrhundert gab es kundige Verehrung für die Commedia ; viele Abschriften und zahlreiche Kommentare zeugen davon. Und doch bewegte sich die kulturelle Entwicklung von ihm weg, auch durch Petrarca und selbst beim Dante-Verehrer Boccaccio. Die politische Hoffnung für Italien war erloschen; die christlich-pauperistischen Ideen schienen unanwendbar; die Latinität drängte sich wieder vor, denn der Abstand der Gebildeten zum ›Volk‹ wuchs; Dichter hielten Distanz zu den zerstrittenen Theologien, erst recht nach deren posttridentischen dogmatischen Verhärtung. Eine philologisch-historisierende Zuwendung zu den Literaturen in den Volkssprachen gab es noch nicht. Schlechte Zeiten für die Commedia vom endenden 16. bis ins hohe 18. Jahrhundert; sie erschien mittelalterlich, roh und phantastisch. Dantes Monarchia hatte hingegen Konjunktur, nachdem sie 1559 im protestantischen Basel gedruckt war. [928]
Einen originellen Neuanfang bedeuteten die Überlegungen des neapolitanischen Geschichtsdenkers und Philologen Giambattista Vico. Er hat viel nachgedacht über Homer und das Wesen der Poesie. Er spricht davon in den beiden Auflagen der Scienza Nova von 1725 und von 1744. Er wendet seine Einsichten auf Dante an, vor allem im Brief vom 26. Dezember 1725 an den jungen Dichter Gherardo degli Angioli, der sich für Dante begeisterte – im Gegensatz zu den meisten jungen Leuten, denen Dante zu rauh, zu gewaltsam sei und die eher etwas Glattes und Angenehmes suchten. [929] Vico erklärt die Vorliebe des Gherardo zunächst mit dem melancholischen Temperament des jungen Freundes, dann aber damit, daß er sich der Verführung durch die neueste Philosophie entziehe. Diese nämlich gehe darauf aus, alle seelischen Fähigkeiten abzutöten, die aus der Verbindung der Seele mit dem Leib entstehen, vor allem die Imagination, die man als Mutter aller Irrtümer verdamme (S. 315). Dabei seien doch Gedächtnis und Phantasie die Quellen aller Erfindungen. Deswegen seien die wichtigsten Erfindungen in den barbarischen Zeiten gemacht worden: Der Kompaß, der Blutkreislauf, das Schießpulver, der Buchdruck und das Fernrohr. Gerade diese Erfindungen hätten unser Bild von der Erde, vom Menschen und vom Sternenhimmel am meisten verändert. Es sei der poetische Sinn Gherardos, der ihn Dante habe schätzen lernen, ohne fremde Hilfe und gegen den Geschmack der meisten Jungen, die heute Dante ungebildet und roh finden (S. 316). Gherardo, ein melancholisches Talent, lasse sich seine Einfälle nicht durch ein Übermaß an Reflexion verderben, er schreibe Poesien in einem Wurf. Und er müsse wissen, warum Dante so roh erscheint: Er lebte inmitten wilder Barbarei; Florenz sei durch seine inneren Konflikte zwischen Bianchi und Neri für 200 Jahre verroht. Die Kämpfe seien so hart gewesen, daß die Menschen in den Wäldern oder in den Städten wie in Wäldern lebten (S. 317).
Dantes Lage als Dichter sei vergleichbar mit der Homers: Wie Homer habe auch Dante seine Sprache aus den verschiedenen Dialekten zusammenbauen
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