Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
verspottet und gequält, die Ehemänner (S. 311). Offenbar kannte der italienische Minister des Unterrichts andere Ehemänner als ich – und Boccaccio.
Das Decameron ist die Anti-Commedia; es steht als Commedia humana gegen die Commedia divina. Es ist deren Parodie (S. 311). Dante wollte Reform, Boccaccio betreibe Revolution. Er bringe das ganze moralisch-politisch-religiöse Gebäude zum Einsturz. Bei ihm verschwinden: »das Gefühl für die Familie und für das Vaterland, der Glaube an eine höhere Welt, die Sammlung, die Ekstase und die Innerlichkeit, die keuschen Freuden der Freundschaft und der Liebe« (S. 312). Mir kommt es so vor, als hätte ich diese Parolen sonstwo gehört: Der oberflächliche Boccaccio verwüste die hohen Werte: Familie, Vaterland, Glaube, keusche Freuden der Freundschaft und der Liebe.
De Sanctis kritisiert die italienische Entwicklung seit Dantes Zeit. Andere Völker wie das »gläubige Deutschland« oder das fromme Frankreich von Bossuet und Pascal hätten den mittelalterlichen Asketismus auf anständigere Weise überwunden als Boccaccio. De Sanctis nennt Luther als Beispiel und redet von Völkern, deren »inneres Leben stark und gesund war« (S. 313). In Italien traten die gebildeten Klassen in Gegensatz zum einfachen Volk, das moralisch und fromm geblieben sei; die Gebildeten seien zynisch und genußsüchtig geworden, leer an moralischem und religiösem Sinn; ihnen sei eine mißtrauisch und defensiv gewordene Papstkirche entgegengetreten. De Sanctis wollte diese Spaltung beseitigen; er wollte mit Dante eine Reform, nicht mit Boccaccio eine Revolution des Immoralismus. Die nachdanteske Welt habe die Commedia aufgegeben. Sie gehöre nicht mehr zu den Büchern, die lebendig sind. Sie werde interpretiert wie ein klassischer Text, aber wenig gelesen, wenig begriffen; immer bewundert und am wenigsten »geschmeckt« (S. 312). Die korrupte bürgerliche Welt schätze die neuen gefälligen Erzählungen Boccaccios; sie erkenne sich darin wieder. Sie finde sich darin liebenswert. Die Indignation Dantes ist verschwunden. Die Komik dient nicht mehr der Korrektur von Vorurteilen, der Bekämpfung der Ignoranz; sie wolle nicht moralisieren und reformieren, moralizzare , riformare , wie die viel höher stehende Komik des Rabelais (S. 315).
6.
Poesie und Stoff: Benedetto Croce 1921
6.1 Benedetto Croces Buch La Poesia di Dante (Bari 3 1922) erschien zum Jubiläumsjahr 1921. Es war aber keine Festschrift, sondern eine Polemik gegen die Jubiläumsrhetorik und vor allem gegen das Übermaß positivistischer Gelehrsamkeit, die sich an Dante zu schaffen mache, aber dessen Poesie vergesse. Croce gab dem Abscheu Stimme, der sich gegen die richtete, die alles mögliche Fremde zu Dante herbeischleppten, die ihn einer Stadt oder einer philosophischen Strömung, möglichst dem Thomismus, zuordnen wollten. Croce stellt sich gegen all diese Allegoriker, Historisten, Anekdotenerzähler und Vermuter, allegoristi, storicisti, aneddotisti und congetturisti (S. 26). Er empfahl, sich zunächst einmal auf sich selbst zu beziehen und als einzelner sich dem Dichter Dante und seiner Kunst zuzuwenden: ritrovarsi con Dante da solo a solo (S. 26). Er wischte vieles weg, was seit De Sanctis die Dantisten beschäftigt hatte, vor allem alles Biographisieren und Allegorisieren: Wo Poesie ist, hat Allegorie keinen Platz (S. 20).
6.2 Es ging Croce um ein verbessertes Methodenbewußtsein der Dante-Deutung. Wer die Geschichte der Politik oder der Philosophie der Dante-Zeit erforscht, wer die Dichtung Dantes zurückversetzt in den Kontext ihrer Zeit, tut etwas Nützliches, aber nur dann, wenn er es in die ästhetische Lektüre integriert. Geschieht dies nicht, dann verhindert das Vielerlei von Informationen das Aufnehmen der Poesie (S. 16–17). Wer also die Philosophie Dantes erforscht, wird ihre Quellen und Nachwirkungen untersuchen; er wird ihren Wahrheitsgehalt diskutieren, aber wenn er nicht zeigt, wie Dante diese Theoreme in Vorstellungsbilder verwandelt, führt er von der Dichtung Dantes weg. Diese Theoreme würden dann nur als gedachte Inhalte, nicht als poetisch gestaltete wahrgenommen, nur als ausgedacht, nicht als Vorstellungsbild, pensate , nicht als immaginate (S. 17).
6.3 Wann sind Inhalte poetisch? Croce antwortet: Nur wenn sie Bilder oder Metaphern des andersgearteten Fühlens des Dichters sind, immagini o metafore del vario sentire del poeta (S. 18). Nehmen wir als Beispiel Cato. Man kann viel über
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