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Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Titel: Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dante Alighieri , Kurt Flasch
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beruflicher Dante-Forscher, so wenig wie Jorge Luis Borges (1899–1986), aber das war beider Chance: Sie lasen Dante mit dem Auge des Außenseiters und Liebhabers, mit dem Sinn des Dichters für Poesie. Ich stelle sie hier nur vor, um einige Einsichten hervorzuheben, die den Dante-Leser fördern könnten. Mandelstams Essay ist sprunghaft und zu knapp; er wirft sein Programm zukünftiger Dante-Deutung aphoristisch hin. Es genau zu diskutieren, ist nicht der Zweck der folgenden Seiten. Borges’ neun Versuche waren ohnehin kurze Zeitungsartikel, gescheit formulierte Leseeindrücke, keine ausgebreitete Gelehrsamkeit. Gerade deswegen sind sie für diese Einführung von besonderem Wert.
    Während der unendlich belesene Borges es liebte, Dante-Kommentare, auch die ältesten, zu zitieren, stellte Mandelstam sich frontal fast gegen alle bisherigen Dante-Deutungen: Es ist alles neu zu machen. Er forderte »einen echten Anti-Kommentar«. [934]   Es sollte ein Kommentar werden, der Dantes Verbindungen zur neueren europäischen Literatur offenlegt. [935]   Sei doch »die ganze neuere Poesie« »nur eine Freigelassene Alighieris« (S. 179); er forderte die Arbeit, die Ernst Robert Curtius später durchgeführt hat. Denn Curtius hat an einer Fülle von Beispielen bewiesen, wie viele Motive (Topoi) die Nationalliteraturen Dante und seiner Erneuerung der römischen Dichtung verdanken. Und doch kann man nicht sagen, Curtius habe die Forderung Mandelstams nach einer neuen Dante-Deutung eingelöst. Mandelstam wollte viel mehr als eine hochintelligente Fleißarbeit; er wollte eine Revolution. Er hielt Klassiker für »einen Pulverkeller, der noch nicht explodiert ist« (S. 40). Das war Nietzsche-Rhetorik. Aber ihr lag reale Einsicht zum Grund. Damit kritisierte er zunächst eine Dante-Auslegung, die dessen Commedia als Ausdruck der ›mittelalterlichen Kultur‹ las. Die so reden, glauben zu wissen, was ›die mittelalterliche Kultur‹ gewesen sei, und beugen Dantes Text unter das Joch ihrer historistischen Abstraktion. Sie halten sich an eine verallgemeinernde Vorstellung vom ›Mittelalter‹ – etwa in der Manier Oswald Spenglers – und zeigen dann, wie sie sich Dantes Text aufzwingen läßt. Eine andere Variante, die Mandelstam verwirft, ist die mystische Lesart Dantes. Ausleger, die Dante »nicht gewachsen waren«, hüllten ihn »in ein immer größeres Geheimnis. Der Dichter selber strebte nach klarem und exaktem Wissen. Für seine Zeitgenossen war er schwierig, anstrengend, doch dafür gab er einem als Belohnung Erkenntnis. Dann aber wurde es nur noch schlimmer. Üppig gedieh der einfältige Kult einer Dante-Mystik, dem schon wie dem Begriff der Mystik selbst jeder konkrete Inhalt abging« (S. 133).
    Ich kenne die Geschichte der Dante-Auslegung in Rußland nicht und weiß nicht, gegen wen genau sich Mandelstams Ablehnung sowohl der kulturhistorisch-einordnenden wie der mystischen Dante-Erklärer richtet. Aber das ist hier auch nicht mein Thema. Es genügt, von der Dante-Lektüre Mandelstams zu profitieren. Und er will zurück zum Text, zum sinnlich erklingenden und laut gelesenen Wortlaut. Er drängt auf die Eigenart poetischen Sprechens. Seine Ablehnung zu stofflicher oder zu vager Auslegungen ist dazu nur der erste Schritt. Mandelstam ist unwillig. Zornig erklärt er, er breche mit herrschenden Ansichten:
    »Vor lauter theologischer Terminologie, Schulgrammatik und allegorischen Einfältigkeiten haben wir die Experimentaltänze der Danteschen ›Komödie‹ übersehen« (S. 150). Das entscheidende Stichwort hier heißt »Experimentaltänze«. Dante ›richtig‹ lesen, das hieße demnach, sich weder von Grammatik noch von Theologiegeschichte noch von allegorischen Deutungen noch von Fragen der Art ›Wer ist der Veltro?‹ davon ablenken lassen, daß die Commedia ein »Experimentaltanz« ist. Nun ist Tanzen etwas anderes als Experimentieren. Das vom Übersetzer originell gewählte zusammengesetzte Substantiv kann wohl bedeuten: Experimentieren in wilder Folge, ohne Unterordnung unter einen vorgegebenen Allgemeinbegriff wie ›mittelalterliche Kultur‹ oder ›Mystik‹. Also: Dante lesen als Sichhineinstürzen in ungeregelte Abfolgen. In Abenteuer des Klangs und des Sinns. Das klingt so ungewöhnlich, daß ich es gleich mit Mandelstams Beispielen erläutern muß. Er regt an, den oft gerühmten kristallinen Aufbau der Commedia als bloße Außenseite zu nehmen und die naive Freude am Einteilen und an

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