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Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Titel: Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dante Alighieri , Kurt Flasch
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dichterische Satz läuft nicht schnurstracks auf einen eindeutigen Sinn zu. Er lädt ein zu sinnierenden Umwegen. »Wenn wir ›Sonne‹ sagen, machen wir eine gewaltige Reise« (S. 127). Wer im Alltag feststellt, daß sie heute scheint, kürzt diese Reise rasch ab. In Dantes Commedia gebe es aber, so Mandelstam, keinen Moment, der nicht die »rohstoffartige Eigenständigkeit« des poetischen Wortes bestätige (S. 177).
    Im Inferno trifft Dante, der Wanderer, untereinander verfeindete Sünder, die in der äußersten Kälte zusammengefroren sind und sich nicht voneinander lösen können (Inf. 32, 46–47) . Die äußerste Kälte dort läßt ihre Tränen, die von den Lidern zu den Lippen rinnen, gefrieren. Mandelstam zeigt nun, wie Dante das Wort ›Lider‹ durch Bezug auf ›Lippen‹ herausstellt und die ›Lider‹ als ›Augenlippen‹ auffaßt. Er kreuzt die Vorstellungen der Sinnesorgane des Sehens und des Sprechens, um das Leiden in der tiefsten Hölle zu beschreiben. An ihren Wimpern hängen Eiskristalle und bilden eine Kruste, die sie am Weinen hindert (S. 127–128). Spricht die Fachsprache der Augenärzte von ›Lidern‹, vermindert sie die Assoziationsbreite. Die Alltagssprache eilt fast immer fort zu dem Prädikat ›geöffnet‹ oder ›geschlossen‹; sie verweilt nicht bei dem Wort ›Lider‹. Dante vermehrt den Anspielungsreichtum, indem er durch ›Lippen‹ zu den ›Lidern‹ zurückführt. Die zu Eis gefrornen Tränen verkleben die beiden Männer an den Lippen zu einem monströs-absurden Kuß. Dante sieht Lippen und Lider verbunden und hält das gewohnte Forteilen auf.
    Hier ist der Text (Inf. 32, 40–51) :
Ich hatte mich ein wenig umgesehen und sah jetzt auf den Boden. Dort lagen zwei Männer so eng zusammen, daß ihre Kopfhaare sich vermischten. »Sagt mir, ihr, die ihr so Brust an Brust preßt«, sagte ich, »wer seid ihr?« Sie drehten ihren Hals; ihren Blick hatten sie nun zu mir nach oben gerichtet, da begannen ihre Augen, zuvor schon innen voll von Tränen, zu den Lippen hin zu weinen, aber die Kälte verwandelte die Tränen zwischen den Wimpern wieder zu Eis und verschloß ihre Augen.
    Nie verband eine Eisenklammer Holz mit Holz so fest. Daher stießen sie wie zwei Böcke Stirn gegen Stirn; solche Wut hatte sie übermannt. [936]  
    Entscheidend ist nun aber: Das nicht-festgelegte Wort der poetischen Sprache gewinnt an sinnlichem Laut, an emotiver Kraft und intellektuellen Anreizen. Es blüht auf, wenn es freigehalten wird von der rationalen Disziplinierung auf Eindeutigkeit hin. Es wird zugleich ›geistiger‹ und ›körperlicher‹: ›geistiger‹, weil es den denkenden Hörer zu Entdeckungen einlädt, die der Praxisbezug der Umgangssprache und die methodische Präparierung der Fachsprache verhindern; ›körperlicher‹, denn der sinnliche Klang, der im Alltag und in der Fachsprache unbeachtet mitläuft, tritt nun als Eigenwert hervor. Das ›roh‹ belassene poetische Wort beschäftigt gleichermaßen intensiver das Ohr und den Intellekt. Es ist wuchtiger; es verweist Alltags- und Fachsprache als abgeleitet in ihre Grenzen. Mandelstam verachtet die ›Kultur‹, aber nur, wenn jemand darunter ein sekundäres System der Glättung versteht, die Summe sprachlicher ›Anstandsregeln‹. Die ›wild‹ belassene poetische Sprache spuckt die Welt des festgelegten Sprechens aus »wie ein Gurgelmittel, mit dem man seine Kehle reinigt« (S. 177).
    Er illustriert diese umstürzende Macht der Poesie an Dantes Kritik am Papsttum: Die mächtigen Usurpatoren des päpstlichen Throns konnten es gleichgültig hinnehmen oder völlig ignorieren, daß Dante sie in seine Hölle steckte. Aber die »unendliche Rohnatur der poetischen Klangweise« hat sie »entblößt und aufgedeckt«, hat alle zeremoniöse Anerkennung und alle kirchenrechtliche Verteidigung zersetzt. Sie hat sie bloßgestellt und auf die Dauer um die Anerkennung gebracht.
    Metaphern
    Dante durchbricht die auf eindeutige Information zielende Konstruktion der Sätze in der Alltags- und Fachsprache durch Vergleiche und Metaphern. Er zieht das Auseinanderliegende zusammen. Dadurch wird das einfache Wort zum Strahlungszentrum. Mandelstam zeigt dies an den Vogelvergleichen von Inferno canto 5 , vielleicht besser noch an den Flußvergleichen, zum Beispiel am Arno des canto 14 des Purgatorio : Solche Vergleiche führen den Blick vom Fluß zur Landschaft als Ganzes, zu ihrem politischen und kulturellen Charakter, der »so stark von der

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