Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
Einzelheiten in Dantes Dichtung. Er beschreibt die Eigenart des Italienischen. Er charakterisiert die Commedia als ganze und ihre poetische Sprache. Und er bewährt an einzelnen Versen seine Dante-Auffassung. Das sind drei Schritte, mit denen er ins Einzelne geht und denen ich kurz folge.
Das Italienische
Mit Dante, schreibt Mandelstam, betrat das Italienische zum ersten Mal die Weltarena (S. 117). Auch wer die Commedia in Übersetzungen liest, hat es mit der Besonderheit dieser Sprache zu tun. Heute beschreiben Linguisten die Eigenart der italienischen Sprache fachlich präziser, als Mandelstam dies tat. Aber der nicht-spezialistische Dante-Leser gewinnt gerade durch sein ›naives‹ Bild des Italienischen. Er beschreibt es, wie jemand, der es zum ersten Mal hört, und staunt über seinen Klang. Als er es näher kennenlernte, begriff er, daß sich im Italienischen »die Sprecharbeit näher zu den Lippen verlagert, zum äußeren Mund. Plötzlich kam die Zungenspitze zu Ehren. Der Laut stürzte zum Riegel der Zähne« (S. 116). Mandelstam beschreibt die eigentümliche Dynamik des Italienischen, die »Infantilität der italienischen Phonetik«, die in ihrer wunderbaren Kindlichkeit die vollen Vokale ausspielt: »Nähe zum Kleinkinderlallen, ein bestimmter uralter Dadaismus« (S. 116). Es hat die Vokale nicht abgeschliffen wie das Deutsche im Lauf der nachmittelalterlichen Sprachgeschichte. Daher hat es in den Endsilben einen Vokalreichtum, der es de facto ausschließt, die Commedia in gereimter Form ins Deutsche zu übersetzen. Im Italienischen reimt sich sozusagen alles. »Jedes Wort bittet um concordanza.«
Poetische Sprache
Was Mandelstam über das Italienische schreibt, sind mehr Ausrufe des Beglücktseins als eingehende Analysen. Seine Notizen über Dantes poetische Sprache sind ausführlicher und genauer. Sie bilden einen Schwerpunkt seines Essays. Mandelstam setzt sich ab vom sowjetischen Kunstprogramm des ›sozialistischen Realismus‹. Die Sprache, zumal die der Dichtung, ist kein Teil der Natur; sie bildet auch nicht die Natur ab, sondern sie »siedelt sich mit einer überwältigenden Unabhängigkeit in einem neuen, außerräumlichen Aktionsfeld an, wo sie die Natur nicht nacherzählt, sondern spielend inszeniert« (S. 113). Sie ist erfinderisch und unableitbar; sonst könnte Dante nicht einige tausend Verse schreiben über Räume, aus denen noch niemand zurückgekommen ist. Sie ist dem Traum verwandt, nicht dem Protokoll, obwohl sie auch den Kunstgriff der Aufzählung oder auch des Katalogs kennt. Nicht, als sei das poetische Sprechen willkürlich; es hat sein inneres Maß, aber es bestimmt sich selbst das Maß. Mandelstam zeigt am 10. Gesang des Inferno – also an der Unterhaltung mit Farinata und Cavalcante –, wie sie entsteht aus den Zeitformen des Verbs. »Wir hören förmlich, wie die Zeitwörter zeitigen« (S. 121).
Der wichtigste Akzent, den Mandelstam bei der Beschreibung der poetischen Sprache setzt: Er arbeitet »entgegen allem eingebürgerten Denken« ihre ›Roheit‹ heraus. Sie sei »unendlich unbehauener als die sogenannte ›Umgangssprache‹«. Charakteristisch für die poetische Sprache sei ihre »rohstoffartige Eigenständigkeit« (S. 177).
Ich versuche das zu verstehen. In der Alltagssprache nimmt der praktische Bezug die Vieldeutigkeit der Wörter zurück. Wenn ich bei meinem türkischen Metzger ›Lamm‹ sage, ist klar, daß ich Fleisch kaufen will. Wenn ein Schüler im Lateinunterricht des Gymnasiums das Wort ›agnus‹ nicht übersetzen kann und ihm der Nachbar das Wort ›Lamm‹ zuflüstert, ist klar, daß er kein Fleisch will. Wenn in der Kirche vom ›Lamm Gottes‹ die Rede ist, weiß jeder, daß die Sanftmut und Geduld Jesu gemeint sind. Die Fachwissenschaften bauen solche Vieldeutigkeiten ab, indem sie ihre Termini methodisch definieren, und einige dieser Festlegungen dringen in die Alltagssprache bereits geregelt vor, so hat z.B. das Wort ›Lautstärke‹ fast immer seine präzise Bedeutung durch Radio- oder Fernsehapparat bekommen. Der Dichter nimmt solche Operationen nicht vor; er läßt das Wort ›Lamm‹ unbehauen in seinem Assoziationsreichtum stehen; er hebt es durch Umstellen des Satzbaus oder durch Reim in seiner ›rohen‹ Form noch hervor. Er beläßt ihm seine Nicht-Eindeutigkeit, die im Alltag stören könnte und die in den Fachwissenschaften ausgeschafft ist. Daher ist jedes Wort der poetischen Sprache ein »Strahlenbündel«. Der
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