Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
Mächtigkeit und vom Verlauf der Flüsse bestimmt ist« (S. 131). Dante fordert vom Arno, daß er der Gerechtigkeit halber Pisa ertränke; er behauptet von ihm, er wende vor Arezzo seine Schnauze ab, weil er die Aretiner verachte.
Die Metapher verbindet Antikes mit Gegenwärtigem und verändert dadurch die Erfahrung von Zeit. »Die von Dante gewählte Methode ist anachronistisch« (S. 171). Sie macht dadurch die gegenwärtige Zeit und ihre Not fühlbar. Die Metapher läßt die Zeit stillstehen und gibt damit der Geschichtszeit Dantes Umriß und bleibenden Halt.
Das Vergleichen war für Dante mehr als ein literarischer Kunstgriff; es ergab sich aus seiner Metaphysik. »Ich vergleiche, also bin ich, hätte Dante sagen können. Er war der Descartes der Metapher.« Alles, was ist, ist auf anderes bezogen. »Das Sein selbst ist Vergleich« (S. 187).
7.3 Sehen lernen mit Mandelstam
Mandelstams grauenvolles politisches Schicksal lehrte ihn, das Werk des Exildichters mit neuen Augen zu sehen. Wenn er in der Erzählung von Ugolino das Wort ›Gefängnis‹ ausspricht, füllt das Wort sich mit neuer Erfahrung. Das Gefährliche und Zerstörerische des Kerkers tritt hervor. Aber Mandelstam deklamiert nicht über seine Unglückserfahrung; er führt zum einzelnen Wort zurück. Er sieht die Kristallbildungen in Dantes Sprache. Er wird aufmerksam auf Farbwirkungen und Lichteffekte in der Commedia. Er würdigt das Material der Sprache und die Metaphern neu. Natürlich sind schon andere Leser auf die Metaphern gestoßen. Aber der Blick Mandelstams fiel auf das Seltene, aufs Unglatte, auf das, was widerstrebende Strömungen durchziehen, auf Gestein mit Ablagerungen verschiedener Zeiten. Er sieht die Farbenpracht in Geryons Haut. Geryon ist der urtümliche Flugdrache, auf dessen Rücken Vergil und sein Zögling in den unzugänglichen achten Kreis der Hölle gelangen. Er ist ein Mischwesen aus Mensch, Löwe und Drache, aber Mandelstam interessiert sich für das Farbenspiel seiner Haut. Ihn zieht die »manufakturale Leuchtkraft dieses Vergleichs« an, diese »Textilhändler-Perpektive«: Weder die türkischen noch die tatarischen Teppichweber haben buntere Muster (Inf. 17, 13–18) :
Es hatte zwei Pranken, behaart bis zu den Achseln; Rücken, Brust und beide Flanken waren bemalt mit Knoten und Rädchen. Nie haben Türken oder Tartaren Tuche mit mehr Farben – sei’s als Grund, sei’s als Muster – gewoben; nie ersann Arachne solche Gewebe.
Mandelstam regt in seiner wohlbegründeten Abneigung gegen bevormundete Poesie an, über alle Ideenlehre und alle Ideologie hinaus buchstäblich zu Dantes ›Stoff‹ zu kommen, ohne darüber Dantes Abneigung gegen den Wucher der reichen Tuchhändler zu vergessen. Er hört den sinnlichen Klang der Wörter: »Der 32. Gesang des Inferno erkrankt ganz plötzlich an einem Slawenmischmasch, der für ein italienisches Gehör völlig unerträglich und obszön klingt« (S. 184). Im Inferno 32, 25–30 quakt »eine slawische Ente: Osterlic, Tambernic, cric (das lautmalerische Wörtchen ›krach!‹)« (S. 160). Es ist, als habe Dante »alle Sprachdefekte studiert, den Stotterern gelauscht, den Lisplern, den Näselnden, allen Aussprachefehlern« (S. 159).
Was Dantes Metaphern erreichen, zeigt sich bei seinem Abschied von seinem bewunderten Lehrer Brunetto Latini am Ende des 15. Gesangs : Dante hat ihn unter den bestraften Homosexuellen getroffen. Das hat seine Zuneigung und Hochachtung nicht gemindert, und als Brunetto von ihm wegging, da wandte er sich um und lief weg – er sah aus wie einer, der in Verona ums grüne Tuch über das Feld rennt, wie einer von ihnen, der siegt, nicht wie einer, der verliert .
Die Metapher kehrt die Verurteilung des Homosexuellen um: Brunetto ging wie einer, der siegt (S. 119).
Ein äußerstes Beispiel, wie die Metapher Fernliegendes vereint, wie also in ihr gegenläufige Vorstellungsströme zusammenfließen, findet sich in Paradiso 27, 10–15 : Dante, berauscht von der Schönheit des richtigen Lebens, vom Lächeln des Universums , sieht die vier ›Fackeln‹ des Paradises, nämlich die Apostel Petrus, Jakobus und Johannes. Bei ihnen steht Stammvater Adam. Da fängt Petrus an, von der jetzigen Kirche zu sprechen; sein amtierender Nachfolger hat aus ihr eine Kloake gemacht. Er wird rot vor Zorn. Dante beschreibt seinen Farbwechsel so:
Die vier Fackeln standen vor meinen Augen in Flammen, und die zuerst gekommen war, begann lebhafter zu werden. Das sah
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