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Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Titel: Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dante Alighieri , Kurt Flasch
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aus, als würde sie zu Jupiter und als wären Jupiter und Mars Vögel, die ihr Gefieder tauschten.
    Der Gedanke durchkreuzt sich. Er geht von den vier Personen zu den Sternen, von diesen zu den Vögeln und kehrt zurück: Die vier heiligen Personen sind Fackeln, die in Flammen stehen. Eine von ihnen, Petrus, flammt auf und wird feuerrot vor Zorn; seine Nachfolger haben seine Kirche zerstört. Zuvor stand er in der herrscherlichen Farbe Silber. Aber jetzt ist es, als seien der weiße Jupiter und der rotglühende Mars Vögel und hätten die Federn getauscht. Dante schiebt also mehrere Metaphern ineinander und dynamisiert den Vorgang; durch die Assoziation mit den mächtigen Planeten, die er als Vögel vorstellt, gibt er dem Vorgang mythische Größe. Das ist der Dante, wie ihn Mandelstam sehen lehrt (S. 164). Ich möchte noch einen letzten, einen einfacheren Vergleich nennen, auf den Mandelstam hinweist. Er steht in Inferno 32, 4 und besteht nicht einmal aus einem ganzen Satz. Dante nähert sich dem tiefsten Höllenloch. Er wird unsicher, ob er es beschreiben kann, und sagt:
Hätte ich die rauhen und schrillen Reime, die zu diesem Elendsloch passen, auf dem alle anderen Felsmassen lasten, dann würde ich den Saft meines Konzepts reichlicher auspressen. Aber ich habe sie nicht und fange daher an, mit Furcht und Zittern zu dichten.
    Mandelstam bezieht sich auf Dantes Wendung, er würde, hätte er eine rauhere Sprache, aus seinem Konzept weitere Verse herauspressen. Dante sage, die sprachliche Form werde herausgepreßt: Sie ist nicht Hülle, sondern Hervorgepreßtes (S. 128). Die poetische Formbildung geschehe in dem Bewußtsein, Reihen, Perioden oder Zyklen eines Formklanges vorauszusetzen.
    An dem knappen Bild, ›sein Konzept auspressen‹ für ›ausführlicher schreiben‹ gefällt Mandelstam die einfache Stofflichkeit, die an eine Zitrone denken läßt. Es mag Leser geben, die es eines philosophischen Kopfes wie Dante unwürdig finden, daß er die Vorstellung nicht ablehnt, man könne einen Begriff ›auspressen‹. Auch manche Dante-Übersetzer ins Deutsche haben mit solchen Grobheiten ihre Mühen. Sie lieben edlere Varianten.
    Im Purgatorio tritt eine Frau aus Siena auf, die in die Gegend der Maremmen geheiratet hat und von ihrem Mann umgebracht wurde. Ihr sind nur sieben Zeilen vergönnt (5, 132–136) , und sie faßt ihr Leben in dem Satz zusammen (Vers 134):
Siena mi fé, disfecemi Maremma.
    Dante setzt ›Machen‹ und ›Kaputtmachen‹ schroff gegeneinander, so daß man übersetzen möchte:
Siena machte mich, die Maremma machte mich kaputt.
    Das wäre noch etwas grober als das Bild Dantes vom Auspressen eines Konzepts, das Mandelstam gefiel. Vielleicht könnte er sich mit einer leicht abgeschwächten Wendung zufriedengeben. Etwa dieser:
Siena brachte mich hervor, die Maremma brachte mich um.
    Georg Peter Landmann übersetzte es vornehmer, nahm dem Vers aber den sinnlichen Anklang des doppelten Machens und schrieb:
Siena gab mir das Leben, die Maremma nahm’s mir.
    Es sind solche Überlegungen, die Mandelstam im Dante-Leser anregt. Er schrieb kein Handbuch. Er bringt, wie Seamus Heaney schrieb, »Dante aus dem Pantheon zurück zum Gaumen«.
    7.4 Jorge Luis Borges
    Ermunterung, Einwände gegen Dante zu machen
    Der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges (1899–1986) schrieb seine Neun Essays über Dante zwischen 1950 und 1980. Er war von Beruf Bibliothekar, und seine Lebenszeit wurde nicht vom Staat beschnitten wie die von Ossip Mandelstam; er verfügte über mehr Informationen. Aber seine kurzen Artikel deuten dies nur knapp an; sie bleiben leicht, journalistisch bis literarisch und laden ein zur Lektüre der Commedia. Aber sie tun dies in einem unerbaulichen, ironischen Ton. Daher sind sie dem Dante-Leser von Nutzen. Er kann lernen, Dante zu lieben und zugleich zu kritisieren. Borges langt mit seiner Kritik kräftig zu: Er findet die feierliche Prozession am Ende des Purgatorio von zweifelhafter Schönheit. Das Allegorisieren einzelner Gestalten und Vorgänge, mit dem die Commedia begonnen hat, in den Zwischenteilen zurückgedrängt, beherrscht jetzt wieder das Feld. Geschmacklos sei eine Frau mit drei Augen im Kopf als Tugendfigur. [937]  
    Borges fand es abstoßend, wie sich die vier Kinder Ugolinos gemeinsam anbieten, er solle von ihrem Fleisch essen; er habe es ihnen gegeben, er könne es sich wieder nehmen (Inf. 33, 61–63) . Auch das Bild, das sie gebrauchen – er habe sie mit diesem

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