Commissaire-Llob 1 - Morituri
den Hügeln in einer Bergnische und tut so, als gäbe es sie nicht.
Etwa dreißig Villen liegen in der stillen Bucht, die von einer breiten, schnurgeraden Straße zerteilt wird, beiderseits junge Palmen und schmiedeeiserne Laternen. Die Grundstücke gehören zu denen, die hinter vorgehaltener Hand den Besitzer wechseln. Die Verwaltungsmafia breitet das Mäntelchen der Verschwiegenheit darüber, damit nur keine lästige Neugier aufkommt. Traumhafte Oasen, die für einen symbolischen Dinar vergeben wurden und im Schatten gehütet werden wie ein Staatsgeheimnis …
Um sie zu finden, muß man in den Kreis der Versteckspieler eingeführt sein. Von der Landstraße aus sieht man nicht einmal die Abzweigung, die sich heimlich in die Büsche schlägt, nach einigen hundert Metern dann mit einer Asphaltdecke protzt und zuletzt über den feinen Sandstrand bis zur Insel der Seligen vordringt.
Wenn ich an die Schlafstädte denke, die unsere Landschaft verschandeln, an die öden Bunker, die schon beim Einzug baufällig sind und nichts als Aggressionen wecken, an die Slums, die sich bis in unsere Gedanken ausbreiten, oder die Kellerfenster, die über schwefligen Abgasen gähnen, dann gebe ich mich keinen Illusionen bezüglich unserer Zukunft mehr hin. Man baut eine Zivilisation nicht auf Kartenhäusern auf. Und mit schäbiger Vetternwirtschaft und Komplizentum steigt man auch nicht in den Rang einer Nation empor.
Lino hat seine Begeisterungsausbrüche ein für alle Mal abgestellt. Er weiß jetzt, was hinter dem Reichtum der anderen steckt. Lino ist hart geworden. Verbittert, aber hart im Nehmen. Es hat eine Weile gebraucht, ihm die Augen zu öffnen, aber jetzt hat er den Durchblick.
Er verachtet die Arroganz der Paläste und interessiert sich ausschließlich für deren Hausnummern. Die Nummer 17 läßt es sich am Ende der Straße gutgehen, die Nase zum Garten gereckt, das Hinterteil in Sand gebettet. Ein architektonisches Schmuckstück mit blauem Stein auf der Fassade, Arkaden auf der Veranda und einer Schwingtür, die niedlicher ist als jede Nippesfigur.
Sid Lankabout läßt uns fünf Minuten schmoren, bevor er uns öffnet.
»Llob?« Er zieht die Brauen hoch.
»Überrascht?«
»Absolut. Welcher Wind hat euch hierher geweht?«
»Der Wind, der sich dreht, Monsieur Lankabout.«
Er streicht die Vorderseite seines Hausmantels glatt, betrachtet Lino.
»Ich kann euch nicht hereinbitten. Ich schreibe gerade.«
»Sie werden im Gefängnis noch genug Zeit haben, an Ihrer Litanei herumzufeilen.«
Kaum bemerkbar schnellt seine rechte Braue nach oben. Der Rest bleibt reglos.
»Ich verstehe«, meint er.
Seine Gelassenheit soll mich wohl glauben machen, daß er ein Mann von Charakter ist. Seine lange Liaison mit den Mächtigen im Staat hat ihn eine falsche theatralische Größe annehmen lassen.
Er errät den Grund meines Besuchs, doch die Verachtung, die er für mich hegt, verbietet ihm, mir auch nur im geringsten entgegenzukommen.
Ich drücke ihn zur Seite und betrete sein Domizil. Im Salon lagert ein ganzes Arsenal von elektronischem Spielzeug, Soft- und Hardware, Faxgeräte und Funkanlagen, die den Ort zum Sitz eines Generalstabs machen.
»Das also ist Ihr apokalyptisches Labor, Monsieur Abou Kalybse?«
»Ich habe Sie beträchtlich unterschätzt, Llob.«
»Den Polizisten oder den Schriftsteller?«
»Beide. Jedesmal, wenn ich Ihren Namen auf die schwarze Liste setzen wollte, hat mich meine kategorische Weigerung, Ihnen Talent zuzugestehen, davon abgehalten. Gleichzeitig hat es mir Spaß gemacht, Ihren Ruf als Spürnase auf die Probe zu stellen.«
Ich befehle Lino mit einer Kopfbewegung, die obere Etage zu inspizieren.
Sid Lankabout nimmt feierlich hinter seinem Schreibtisch Platz und streichelt die Blätter, die randvoll mit seinen Inspirationen sind. »So ein schöner Roman«, seufzt er.
»Das sagt man sich immer, bevor der Lektor sein Gutachten vorlegt.«
An den Wänden hängen die Porträts der kürzlich ermordeten Intellektuellen, die Jagdliste des Abou Kalybse. Die Trophäen seines düsteren Ruhms: drei Schriftsteller, vier Gelehrte, ein Theokrat, fünf Journalisten, ein Schauspieler und ein Professor. Mein Blick bleibt am kauzigen Gesicht meines verstorbenen Freundes Ai’t Meziane hängen. Mein Herz krampft sich zusammen. »Welch ein Verlust!«
Sid Lankabout sammelt seine Blätter ein, stapelt sie, klopft den Packen mit der Handfläche glatt. Das Fenster hinter ihm geht auf einen Fels hinaus, an dem die Wellen
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