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Commissaire-Llob 1 - Morituri

Commissaire-Llob 1 - Morituri

Titel: Commissaire-Llob 1 - Morituri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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vergessen. Aber du bist nicht Gott und auch kein Engel, Monsieur Lankabout. Du bist eine jämmerliche Utopie. Du flößt den Lebenden wie den Toten nur Mitleid ein …«
    Er streckt mir seine Hände entgegen, liefert sich mir aus.
    »Du brauchst keine Handschellen«, erwidere ich. »Eher eine Zwangsjacke.«
    Er betrachtet die Innenseite seiner Hände, dreht sie um, stützt sich ab, um aufzustehen. Ganz behutsam. Seine Finger berühren einander, verschränken sich. Sid wähnt sich vor erlauchtem Publikum, schickt sich an, das Wort zu ergreifen. Durchs Fenster flutet das Licht herein und umhüllt ihn wie ein Nessusgewand. Er ist nur mehr ein Phantom, ein Schatten, der sich aus dem Tageslicht löst.
    »Als verrückt gilt, was sich dem Verständnis der Menge entzieht«, sagt er mit tonloser Stimme. »Verrückt ist der Weise, der seine Gelehrsamkeit vor dem gemeinen Volk ausbreitet. Galilei war in den Augen der Kirche verrückt. Und als verrückt galt Ibn Sina, der den Körper eines Menschen schändete, indem er ihn sezierte. Doch die Jahre bescheren den nachfolgenden Generationen unerhörte Erkenntnisse. Naivität und Genialität, Verläßlichkeit und Fehlbarkeit, Recht und Unrecht lösen einander in willkürlichem Wechsel ab. Wie viele Schurken von einst werden heute hoch gerühmt? Wieviel Hirngespinste haben sich im nachhinein als erstaunliche Prophezeiung erwiesen …? In Wirklichkeit, Llob, gibt es weder die absolute Wahrheit noch die totale Lüge: Es gibt nur Dinge, an die man glaubt, und andere, an die man nicht glaubt …«
    In diesem Moment splittert das Fenster. Sid Lankabout wird auf den Schreibtisch geworfen, sein Schädel von einer großkalibrigen Kugel zerfetzt.
    Ich kann gerade noch eine Silhouette erkennen, die draußen hinter dem Felsen hervorspringt und in Richtung einer Hecke davonläuft. Dann höre ich, wie ein Wagen mit quietschenden Reifen wegfährt.
     
    17
     
    Der Direktor hat darauf bestanden, das Ende von Abou Kalybse zu feiern. Zum kleinen Empfang, den er im Sitz der Direktion organisiert hat, sind die Sekretärin des Verwaltungsbezirks, einige Kommissare, eine Handvoll Offiziere der Spezialeinheiten und eine Schar Journalisten geladen. Der oberste Polizeichef hat abgesagt, jedoch einen ermüdend geschwätzigen Vertreter geschickt, der sich mehr dafür interessiert, wie wohl der Bezwinger der Bestie ausschaut, als eine Lobrede zu halten. Dafür preist der Direktor meine »Ausdauer« und meinen »Sinn für Selbstlosigkeit«. Er nennt mich beim Vornamen, und prompt werde ich so rot wie eine Jungfrau beim Anblick eines Hotdogs.
    Alle sind sie der gleichen Meinung, daß Abou Kalybse ein verteufelter Brocken gewesen sei. Wenn man sie so hört, könnte man meinen, der Terrorismus sei nun ausgelöscht.
    Man drückt mir die Hand, man klopft mir die Schulter, man knufft mir triumphierend in den Wanst - und nicht einer, der es für nötig befände, Lino zu gratulieren. Der schämt sich fast für seine Anwesenheit, Lino der Untergebene, Lino der Packesel, Lino, zur Sache reduziert, ohne Ruhm und ohne Verdienst. Allzuviel macht es ihm nicht aus. Lino weiß, daß in einer Gesellschaft, in der man selten danke und niemals Entschuldigung sagt, Undankbarkeit völlig natürlich ist.
    Später wird er mir anvertrauen, daß er als Junggeselle wider Willen alle Ehrungen der Welt für eine bescheidene Zwei-Zimmer-Wohnung gäbe, um endlich eine Familie gründen zu können. Möge Sankt Nimmerlein ihn erhören!
     
    Zu Hause langweilen sich die Kinder vor dem Fernseher. Unsere Politprominenz streitet um eine derart nervtötende Nebensächlichkeit, daß meine Tochter davon fast eine Depression bekommt.
    Ich hänge meine Jacke an den Nagel und lasse mich in der Küche nieder. Mina serviert mir eine Zwiebelsuppe mit ein paar Nudeln drin. Es geht ihr nicht gut, meinem kleinen Aschenputtel. Nur ungeschickte Gesten, nur ausweichende Blicke. Ich halte sie am Handgelenk fest. Sie sträubt sich, will sich nicht auf meine Knie setzen.
    »Du bist heute nicht ganz auf der Höhe, mein Schatz.«
    Sie greift sich gequält an die Stirn. »Sie reden im Radio von deinem Erfolg.«
    »Haben sie meinen Namen erwähnt?«
    »Nein, aber so gut wie.«
    Sie macht sich Sorgen. Sie tut nichts anderes. Ihr Ältester ist fortgegangen, ihre Große langweilt sich, weil sie keinen Verehrer findet, ihr Ehemann ist die Hauptattraktion bei der Terroristen-Olympiade … Wenn ich aus dem Haus gehe, wacht sie hinter dem Fenster. Wenn ich fünf Minuten

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